Die „Freiheitskriege“ oder „Befreiungskriege“, die 1813–1815 die Hegemonie des französischen Kaisers Napoleon über Europa beendeten, gehören heute nicht mehr zum historisch-politischen Erinnerungsschatz. Das war in der vor 1930 bzw. vor 1900 geborenen Generation unserer Väter und Großväter anders: viele patriotische Lieder waren in Kommersbüchern der Studierenden und in Gedichtanthologien für Schulen enthalten.

Angesichts der Ausbeutung der finanziellen und personellen Ressourcen Mitteleuropas durch Napoleon – seine Kriege in Spanien ab 1808 und in Russland 1812 mussten die dem Offensivbündnis „Rheinbund“ angehörenden deutschen Länder mittragen – bot der Untergang der französischen Armee in Russland 1812 die Chance, 1813 Napoleon militärisch zu besiegen; es gelang in der „Völkerschlacht“ bei Leipzig 16.-19.10.1813.

Gedichte waren großenteils Lieder, und die Texte von Ernst Moritz Arndt („Was ist des deutschen Vaterland?“), Max von Schenkendorf  („Freiheit, die ich meine“) und Theodor Körner („Bundeslied vor der Schlacht“) trugen einen appellativen Charakter, der Hass gegen die Franzosen, Kampfbereitschaft und Todesmut erzeugen sollte, ein „Wir-Gefühl“. Mitreißende Melodien sollten die Wirkung verstärken. Diktion und Tonfall wirken heute blutrünstig und abschreckend einerseits, sentimental und romantisch andererseits. In Kopie der Kampflieder der Französischen Revolution wurden sie zu einem wesentlichen Medium der nationalen Aufbruchsbewegung. Dabei ging es nicht nur um Krieg und Kampf, sondern um grundlegende gesellschaftliche und politische Veränderungen; das Volk trat in den Mittelpunkt des politischen Denkens. Die militaristischen Töne dieser Dichtungen bedeuteten auch die Verbürgerlichung adelig-soldatischer Tugendideale – das Symbol dafür ist das Eiserne Kreuz. Die Lieder stellten auf nationaler Ebene einen gesellschaftlichen Konsens her und gehören so ins Zentrum dieses Prozesses der Selbstfindung, mit ihrer kaum kontrollierten Verherrlichung von Gewalt und Soldatentugenden quasi Zeugen einer pubertierenden Nation.

Die Emotionalisierung und Bildung einer politisch-patriotischen Öffentlichkeit stellte allerdings auch das Herrschaftsmonopol der Fürsten in Frage. Der Wiener Kongress unter Leitung Metternichs stellte dagegen 1815 die Fürstenherrschaft wieder her – es begann der Streit um die Deutung der „Freiheitskriege“ (Kriege um die Freiheit des Volkes) oder der „Befreiungskriege“ (der Befreiung von Napoleon und Restauration der alten Verhältnisse). Zahlreiche Denkmäler, vom Kreuzbergdenkmal in Berlin, der „Walhalla“ und der Kelheimer „Befreiungshalle“ bis zum Völkerschlachtdenkmal in Leipzig von 1913 veranschaulichen dies.

Während die Freiheitsidee im 19. Jahrhundert gegen Restauration und monarchisches Prinzip - auch in der Revolution von 1848/49 - nicht erfolgreich war, hat Bismarck durch die Fürsten die ersehnte nationale Einigung 1871 herbeigeführt. Die Lyrik der Befreiungskriege wurde nun als Herrschaftsinstrument zur Mobilisierung der Bevölkerung genutzt. Das Echo ihrer Lieder findet sich in den Soldatenbriefen gefallener Studenten des Ersten Weltkrieges. Auf 1813 folgte also – 1914.