Hugo von Hofmannsthal hat Coleridges spätes Gedicht Phantom or Fact (ca. 1830) im Stil und Nachklang seiner Lyrischen Dramen übersetzt: Verwandlung (1902). Verena Noll spielte zu Anfang diesen Text als dramatischen Monolog. Mit einem Schlag war Coleridges Dichtung präsent.
Dejection: An Ode war den Teilnehmern in der zweisprachigen Ausgabe von Edgar Mertner bekannt.
Im Frühjahr 1802 verfassen Samuel Taylor Coleridge und sein Freund William Wordsworth innerhalb weniger Wochen drei der bedeutendsten Gedichte der englischen Romantik. Wordsworth beginnt am 27. März die Ode Intimations of Immortality from Recollections of Early Childhood [Winke und Hinweise auf die Unsterblichkeit aus Erinnerungen an die frühe Kindheit], Coleridge beginnt am 4. April A Letter to —, das er bald darauf zu Dejection: An Ode umarbeitet, Wordsworth wiederum beginnt am 3. Mai Resolution and Independence [Entschluß und Unabhängigkeit]. Die Entwürfe sind so groß, in Konzeption und Umfang, daß die Arbeit an ihnen andauert. Coleridges Briefgedicht an Sara Hutchinson, die Lady der Ode, umfaßt 340 Verse. Die Umarbeitung zu einem neuen Gedicht von 139 Versen – kein Brief mehr an die geliebte Frau, sondern die konzentrierte, den Anlaß überschreitende Ode – wird im Herbst fertig und am 4. Oktober 1802, dem Hochzeitstag des Freundes in der Zeitung The Morning Post gedruckt. Wir lasen die letzte Fassung, die Coleridge 1817 im Gedichtband Sibylline Leaves veröffentlicht hat.
Das Thema, das die Gedichte der Freunde verbindet, ist das Verhältnis zur natürlichen Welt und ihrer heilenden Kraft, wenn sie nur in der Erlebnis- und Einbildungskraft aufgefaßt werden kann, ferner die Reflexion des eigenen Schaffens und der dichterischen Existenz, die (schmerzhafte) Selbstanalyse und schließlich die Reflexion der Einbildungskraft, einmal als dem transzendentalen Vermögen, die Welt, die Anderen und sich selbst zu erfassen (primary imagination), zum andern als dichterischer Einbildungskraft, „die das Intelligible im Realen zum Durchschein bringt“ (secondary imagination). Dieses Thema in seiner differenzierten Ausführung hat einen scheinbar einfachen Hintergrund: die Freude (Joy), „die uns in das Leben der Dinge blicken läßt” (Wordsworth, Tintern Abbey, Zeile 47-49) und die dichterische Ineinsbildung ermöglicht und ihren Vollzug begleitet. In der Mitte der Ode heißt es:

Joy, Lady! Is the spirit and the power
Which wedding Nature to us gives in dow’r
A new Earth and a new Heaven

[Freude, Herrin! Ist der Geist und die Macht, | die – indem sie die Natur uns vermählt - | eine neue Erde und einen neuen Himmel zur Mitgift gibt. Str. V, 67-69]
Freude erscheint in Dejection negativ, im Entzug. Die schöne Natur wird nicht mehr erfahren, nur verständig betrachtet (Str. II), die schöpferischen Kräfte versiegen (Str. III, VI). Aber im Entzug noch ist das Entzogene nicht einfachhin verloren.

O Herrin! Wir empfangen einzig, was wir geben
In unserem Leben kann Natur nur leben:
Von uns nimmt sie ihr Bahrtuch und ihr Hochzeitskleid.
Wenn wir den Anblick eines Höheren begehren
Als ihn die leblos kalte Welt verleiht
Der armen liebelosen Menge voller Leid,
Dann muß die Seele selbst aus sich gebären
Ein Licht, ein Wolkenleuchten, eine Herrlichkeit,
Die rings umgibt die Erde (Str. IV).

Die Geliebte weiß, daß dieses Licht die Freude ist, „die nur den reinen Menschen in ihrer reinsten Stunde geschenkt wird” (64 f.).
In der siebten Strophe gelingt ein entscheidender Umschlag. Der Dichter reißt sich los vom „Alptraum seiner Wirklichkeit” (95) und von der entnervenden Erinnerung und der Klage um Verlorenes (Str. II, III, VI). Er lauscht dem Sturm und dem Regen, der in der ersten Strophe vorhergesagt und ersehnt wurde. Er erfaßt in dieser wilden ‘pindarischen’ Strophe, kraft seines “shaping spirit of imagination” (86), das Naturgeschehen in menschlichen Gestalten und in den Bildern vom fliehenden Heer und vom Kind, das sich verlaufen hat. Das fühllos starre Gemüt belebt sich und die Furcht, die Einbildungskraft zu verlieren, wird gereinigt. Der Dichter befreit sich aus dem lähmenden Gram und der verbohrten Selbstanalyse (Str. VI). Die Freude bleibt unverfügbares Geschenk, aber er kennt sie auch im Entzug und kann sie der Geliebten wünschen. So endet das verstörende Gedicht Dejection in Joy, wenn auch nur in der Form des Wunsches:

Thus may’st thou ever, evermore rejoice.


Im folgenden nenne ich die Stationen des Verstehensganges. Er läßt sich nicht resümieren (nur wiederholen).

  1. Verena Noll spielt Verwandlung als dramatischen Monolog.
  2. Die Abfassung des Gedichts und seine Verbindung zu Gedichten von William Wordsworth.
  3. Die erste Strophe. Lesung und Übersetzung. Erläuterung aus der Gedichtform (wechselnde Zeilenfüllung und Akzentuierung, Gliederung, Zäsuren und Enjambements usw.) Wechsel des Tons von einem Conversation Poem zur Ode. Dichte Beschreibung. Vorgriff auf die siebte Strophe.
  4. Die Odenform. Dejection als Irregular English Pindaric (Dr. Johnson etc.)
  5. Durchgang durch die Strophen II bis VI. Klärung harter Stellen.
  6. Die siebte pindarische Strophe. Textarbeit.
  7. Pause
  8. Zusammenfassung
  9. Joy und Imagination.