Niccolò Machiavelli (1469-1527), florentinischer Humanist, Geschichtsschreiber und Dichter, leitete 14 Jahre (1498-1512) lang auch die Außen- und Verteidigungspolitik der Republik Florenz, wobei es ihm vor allem gelang, durch Einführung der Wehrpflicht der Bürger sich aus der Abhängigkeit von Söldnertruppen zu lösen, und mit dem neuen Bürgerheer die abgefallene Stadt Pisa wieder zurück zu erobern. Er ist Zeitgenosse der politischen Krise Italiens, er erlebt die machtpolitischen Auseinandersetzungen, er konstatiert einen fortschreitenden sittlichen und politischen Verfall des Gemeinwesens und ein immer weiter um sich greifendes privates Erwerbsstreben. Er denkt nicht über die Wesensbestimmung des Menschen nach, sondern er hat die Menschen im Auge, beobachtet sie empirisch und psychologisch. Er sieht sie mit ihren selbstsüchtigen Interessen und zerstörerischen Leidenschaften.
Das politische Leben in der Republik (Selbstregierung der Bürger) liefert ihm die Maßstäbe für die Kritik an der politischen Realität seiner Zeit; und vor dem normativen Hintergrund des wohlgeordneten republikanischen Gemeinwesens werden seine diagnostischen Analysen, seine Zeitkritik und Klage über die Dekadenz verständlich.
Der Mensch ist für ihn ein asoziales und a-politisches Lebewesen, das freiwillig nicht bereit ist, die Bedingungen friedlichen Zusammenlebens zu beachten. Nur wenn die selbstsüchtigen und gemeinschaftsschädlichen Antriebe durch zwingende Gesetze und kluge Maßnahmen der Obrigkeit kontrolliert werden, ist eine gemeinschaftliche Existenz möglich.
Folglich muss die Politik darauf achten, „die Begierden der Menschen zu zügeln und ihnen alle Hoffnung zu nehmen, bei Verfehlungen ungestraft zu bleiben.“ (Discorsi I;42).
Für Machiavelli hat der Mensch eine Trieb- und Bedürfnisnatur, die durch unersättliche Begehrlichkeit gekennzeichnet ist. „Die Menschen werden niemals befriedigt, und kaum haben sie etwas, so begnügen sie sich nicht mehr damit und wollen noch mehr (GW 4, 229); und wenn sie „einmal nicht aus Not zu kämpfen brauchen, kämpfen sie aus Ehrgeiz; denn dieser ist in der Brust eines jeden Menschen so mächtig, dass er ihn nie verlässt, wie hoch er auch steigen mag. Der Grund dafür liegt darin, dass die Natur die Menschen so geschaffen hat, dass sie zwar alles begehren, aber nicht alles erreichen können (Discorsi I; 37; 100).“ „Überdies sind die menschlichen Begierden unersättlich, da die Natur uns alles begehren lässt, das Schicksal aber nur wenig zu erreichen erlaubt. Dadurch entsteht im menschlichen Herzen einerseits ewige Unzufriedenheit und andererseits Überdruss an allem, was man besitzt“ (Discorsi II; 176).
Von der tierischen Bedürftigkeit unterscheidet sich die menschliche Begehrlichkeit durch ihre Maßlosigkeit und Unstillbarkeit. Der Mensch ist unersättlich. Dieser Hang zum Mehrhabenwollen ist die Ursache jedes sozialschädlichen Verhaltens, der mörderischen Konkurrenz, der aggressiven Verteilungskämpfe. Die Menschen streben eben nicht nach dem qualitativen summum bonum, nach dem höchsten Gut, sondern nach dem quantitativen summum maximum, nach der größten Summe.
Die Habsucht – avarizia – ist das eine große Laster, das ständigen Unfrieden zwischen den Menschen bewirkt; das andere große Laster ist für Machiavelli ambizione – der Ehrgeiz, der Geltungsdrang. Eine gute Ordnung zeigt sich darin, dass sie den in der menschlichen Natur verwurzelten Begierden nicht durch Schwächlichkeit freien Lauf lässt, sondern die ambizione zu disziplinieren und in friedliche Bahnen zu leiten versteht.
Wohin du die Blicke wendest siehst du die Erde getränkt mit Blut und Tränen und die Luft erfüllt mit Ächzen, Schluchzen und Geheul.“ So beschreibt Machiavelli die politische Krise Italiens als Folge einer unzulänglichen Politik, einer mangelhaften Eindämmung der Geltungssucht und der Habgier.
Machiavelli unterscheidet drei Zustände des Gemeinwesens: 1. das Chaos, einen Zustand, in dem alle politische Ordnung negiert ist; 2. einen dem antiken Rom nachempfundenen republikanischen Idealzustand; und 3. einen zwischen diesen beiden Extremen gelegenen Zustand, eine durch personale Herrschaft garantierte Ordnung, die zwecks Durchsetzungsfähigkeit auch Gewalt nicht scheuen darf.
Kennzeichen des dritten Zustandes ist, dass mit ihm die vorangehende politische Krise überwunden ist. Aber dieser dritte Zustand ist auch höchst ambivalent: es besteht die Gefahr des Umschlags in die Tyrannis, oder des neuerlichen Versinkens in Instabilität und Chaos – die beiden schlechten Möglichkeiten; aber es gibt auch die positive und optimistische Möglichkeit, durch Aufrechterhaltung der Ordnung und durch kluge Gesetzgebung sich dem republikanischen Zustand anzunähern, dem vivere politico, das gleichbedeutend ist mit dem vivere libero, der Selbstregierung der Bürger.
Machiavelli sieht die chaotischen Zustände Italiens und die Entwicklung Englands, Frankreichs und Spaniens zu wohlgeordneten, machtvollen Nationalstaaten unter absolutistischen Monarchen. Und eines solchen principe nuovo, meint Machiavelli, bedürfte es, um Italien zu einem zeitgemäßen Nationalstaat zu einen, Italien, das immer in den inneren Fehden seiner Republiken und Fürstentümer zerstritten ist, und das zu seiner Zeit zum Schlachtfeld der Großmachtinteressen Frankreichs und Spaniens geworden ist, zum Kriegsschauplatz zwischen dem Haus Valois und dem Haus Habsburg.
Um 1500 sind weder Kaiser noch Papst Instanzen, denen man Friedensmacht zutraut. Der Retter Italiens kann nur einer sein, der mindestens so verschlagen und so gewalttätig ist wie die Renaissance-Kaiser und -Könige und -Päpste.
Machiavelli beendet seinen Principe mit dem „Aufruf an einen neuen Fürsten, in Italien die Macht zu ergreifen und es von den Barbaren zu befreien“, so die Überschrift über das letzte Kapitel. Und weiter: „Solcherart, gleichsam leblos geworden, erwartet Italien den, der imstande wäre, seine Wunden zu heilen, den Plünderungen der Lombardei, der Ausbeutung des Königreichs Neapel und der Toskana ein Ende zu setzen und es von seinen seit langer Zeit brennenden Wunden genesen zu lassen. Man sieht, wie es zu Gott betet, auf dass er ihm einen Mann sende, der es von den Grausamkeiten und Gewalttätigkeiten der Barbaren befreit; man sieht auch, dass Italien durchaus bereit und willens ist, einem Banner zu folgen, wenn nur einer da wäre, der es ergreift.“