Das Klarinettenquintett des 1934 geborenen englischen Komponisten bezieht sich, entgegen den vom Werktitel möglicherweise geweckten Erwartungen, nicht auf die prominenten Werke zurück, die die Geschichte dieser Gattung bisher bestimmt haben (die Werke von Mozart, Brahms, Weber u.a.). Der Streichersatz seines Stücks mit dem engmaschigen Geflecht der Spielfiguren und mit seiner spröden Klanglichkeit steht dem Stil der klassisch-romantischen Kammermusik sogar denkbar fern, während der dominante Klarinettenpart die Spielmöglichkeiten und klanglichen Schönheiten des Instruments immerhin mit durchaus konventioneller Technik nutzt. Die moderne „experimentelle“ Virtuosität mit der auch für die Klarinette ergiebigen Palette von Mehrklängen und Spielgeräuschen wird jedenfalls gemieden, der Komponist vermeidet aber auch konkrete Anklänge an traditionelle Klangstile der Klarinette, seien es solche der klassisch-romantischen Konzertmusik, der Folklore oder des Jazz.

Der Vortrag näherte sich dem Werk zunächst über die Beschreibung struktureller Details. Zu zeigen waren idealtypische Figurationen, die im Werk in vielen Abwandlungen erscheinen, sich dort mit anderen verbinden oder auch mit ihnen in Kontrast treten. Hierzu gehören u.a.:

  • die im Werk besonders häufigen, von Birtwistle so genannten „Pulse“, Repetitionen von Einzeltönen oder Gruppen, die in je eigenem Metrum in den Zusammenhang eintreten;
  • Verbindungen langer Töne mit Gruppen von sehr kurzen, die wir mit dem Begriffspaar „Dehnung und Diminution“ bezeichneten;
  • Pendelfiguren, in denen Repetitionen oder melodische Folgen in ein Wechselspiel von hoher und tiefer (Register-) Lage transponiert werden;
  • metrisch unspezifische melodische Verläufe, für die wir den Begriff „Litanei“ gebrauchten; - „Hoquetus“, eine Form der kleinteiligen Interaktion der Stimmen, die aus der Satztechnik des 13./14. Jahrhunderts stammt und die Birtwistle auch in anderen Werken einsetzt;
  • „Permutation“, eine aus dem Erbe Strawinskys stammende Technik der Fortspinnung einer Figur durch Umsetzung ihrer Glieder.

Das Stück ist in fünfzehn unterschiedlich lange Abschnitte gegliedert, die durch Überleitungsbrücken miteinander verbunden sind. Nach der vom Komponisten selbst stammenden Entstehungs-„Legende“ ist das Werk aus einer Reihe von je ein Notenblatt füllenden Notizen durch gegenseitiges In-Beziehung-Setzen zu einem komplexen Ganzen geworden, dessen Ursprünge sich auch durch analytische Bemühung nicht mehr rekonstruieren lassen. Letzteres war auch nicht die Absicht des Referats, wohl aber ging es darum, unterschiedliche Wege der Verwandlung und Entwicklung des musikalischen Textes zu zeigen und sie als Vermittlungsprozesse zu interpretieren. Dabei war aber am Werk auch die Gegentendenz zu solcher Vermittlung zu erleben: das Einsetzen fremden Materials in ein Kontinuum, das Ausbrechen aus dem Zusammenhang, der emotionale „Schrei“. Des Weiteren war zu zeigen, wie sich die Grundbedingungen der „Zeitgestalt“ eines Musikwerks in diesem Stück auswirken, d.h. z.B. welche spezifischen Merkmale für Anfang und Ende zu entdecken sind. Schließlich war wenigstens im Ansatz der Frage nachzugehen, ob es über die Verbindungen zwischen den Abschnitten hinaus in der Großform des Werks voraus- bzw. rückweisende Bezüge gibt.

Für das abschließende Hören des Stücks stand den Teilnehmern eine detaillierte Werkbeschreibung zur Verfügung, die als eine Art „Musikführer“ die Orientierung im Stück erleichtern sollte.