Während Hebels Kalendergeschichten, insbesondere die in seiner Anthologie "Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes" (1811) zusammengetragenen, früher einem breiteren Publikum bekannt waren, wird ihr Autor heute oft als Idylliker oder als Geschichtenerzähler für Kinder eingeschätzt. Der Unterhaltungswert und das Abgründige vieler Geschichten machen sie aber auch heute noch lesenswert. Dies wird exemplarisch aufgezeigt an der witzigen Geschichte "Der Wasserträger" (1812): der Umgang der Titelfigur mit einem Lotteriegewinn widerspricht bürgerlichen Wertvorstellungen, die Erzählhaltung zeigt Hebels weites Menschenbild.
Unter Berufung auf Walter Benjamin ("Der Erzähler. Betrachtungen zum Werk Nikolai Lesskows", 1936) wird Hebel als einer der letzten großen Erzähler charakterisiert, für die es kennzeichnend sei, dass es ihnen gelinge, Erfahrungen weiterzugeben und damit dem Hörer oder Leser 'Rat zu wissen'. Nicht nur die Tatsache, dass Erfahrungen angesichts des rasanten Wandels im materiellen und sittlichen Leben Vergleichbarkeit und Aussagekraft für die Zukunft verlören, habe den Verfall des Erzählens beschleunigt, sondern vor allem habe die Presse die Erzählung abgelöst durch Bereitstellung von Informationen, die plausibel klingen müssten und deshalb nicht mehr die Kraft einer Erzählung hätten, die als Kunde aus der Ferne auch ohne Kontrollmöglichkeit Autorität besaß. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts sei der Erzähler den Zeitgenossen noch eine gegenwärtige Figur gewesen. Sie ist in Hebels Kalendergeschichten oft in der Figur des Hausfreundes präsent, der den Leser ausdrücklich in seine Erzählung einbezieht und ihm sogar den Eindruck vermitteln kann, Besuch erhalten zu haben und mit ihm über beiden vertraute Probleme zu sprechen. Dies wird veranschaulicht an der Geschichte "Seltsamer Spazierritt", die im Duktus mündlichen Erzählens dem Leser eine verbreitete Erfahrung vor Augen stellt, nämlich die Neigung, sich durch Einwände anderer verunsichern zu lassen und letztlich gegen die eigene Einsicht zu handeln.
Zum literarischen Erzähler wird Hebel erst ab 1802 mit der Berufung in die Redaktion des "Badischen Landkalenders" (nur der Kurztitel), vom Karlsruher Gymnasium im Auftrag des Markgrafen herausgegeben. Der als Prediger beliebte und im Unterricht vieler Fächer bewährte Gymnasialprofessor erschien den Herausgebern des Kalenders geeignet, diesen attraktiver zu gestalten.
Ein Blick auf Hebels Biographie verdeutlicht Hebels Vertrautheit mit den Lebensumständen und Nöten der primären Adressaten des Kalenders und zeigt gleichzeitig, "daß der Ton immerwährender Heiterkeit in Hebels Poesie nicht Einfalt ist, sondern Anstrengung, nicht geschenkter Genuß, sondern auferlegtes Gebot" (Hannelore Schlaffer).
1807 wird Hebel mit der Redaktion des Landkalenders beauftragt und erhält so die Möglichkeit, die 1806 in einem "unabgeforderten Gutachten" gemachten Verbesserungsvorschläge in die Tat umzusetzen, nämlich dem Kalender eine ansprechendere äußere Gestalt und einen einladenderen Namen zu geben sowie aufdringliche Belehrungen zu vermeiden und nur Geschichten aufzunehmen, die das Publikum mit seiner Erfahrung verknüpfen kann. Neben seinen umfangreichen, noch weiter zunehmenden Amtspflichten (erst Schulleiter, dann verantwortungsvolle Ämter in Schulaufsicht und ev. Landeskirche) schreibt er von 1808 - 1818 alle Beiträge selbst.
Der erweiterte Adressatenkreis des in "Der rheinländische Hausfreund" umbenannten Kalenders ist in der Titelvignette abgebildet, der Untertitel lautet jetzt "Neuer Calender auf das Jahr.[...]. mit lehrreichen Nachrichten und lustigen Erzählungen". So findet sich auch die entscheidende Neuerung des Kalenders im 4. Teil, dem Leseteil: Die oft auf Vorlagen aus Zeitungen zurückgehenden Geschichten sind z.T. mit Holzschnitten illustriert, auch das "Lehrhafte", also Astronomie, Pflanzen- und Tierkunde, Hinweise auf günstige Aussaat usw., wird erzählerisch dargeboten, ebenso die Rätsel, deren Auflösungen oft in den folgenden Geschichten versteckt sind.
Trotz des großen Erfolgs des neuen Kalenders legt Hebel dessen Redaktion 1814 nieder, da seine für den Kalender 1815 bestimmte Geschichte "Der fromme Rat" der Zensur unterworfen wurde und aus dem schon gedruckten Kalender für 1815 herausgetrennt werden musste.
Im gesamten deutschen Sprachraum bekanntgeworden sind Hebels Kalendergeschichten - in leicht überarbeiteter, auf die bürgerlichen Adressaten ausgerichteter Form - durch die Anthologie "Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes". Der Titel siedelt die Textsammlung zwischen den Zeiten an und tilgt damit den unmittelbaren kalendarischen Bezug. Zeit und Zeitlichkeit werden hier in Thematik und Organisation der Texte repräsentiert. Der Kreislauf der Natur und das Leben der Menschen sind eingefügt in einen kosmischen Rahmen, der in sieben "Betrachtungen über das Weltgebäude" hergestellt wird, die als Fortsetzung angelegt sind. Mit diesen Betrachtungen versucht Hebel seinen Lesern in anschaulichen Darstellungen das kopernikanische Weltbild zu vermitteln. Die naturwissenschaftlichen Entdeckungen sieht Hebel im Einklang mit der Schöpfung und stellt Erkenntnis als Resultat harter Arbeit dar, die auch dem Leser zugemutet werden kann und nie an ein Ende gelangt - Hebel schreibt ganz im Geiste der Aufklärung.
Nicht nur in den "Betrachtungen über das Weltgebäude", sondern in vielen seiner Geschichten lässt Hebel den Menschen Ausfahrten unternehmen, von denen sie um lebenswichtige Erfahrungen mit sich selbst und der Welt bereichert zurückkehren. Dies wird beispielhaft aufgezeigt an der berühmten Erzählung "Kannitverstan", in der uns Hebel erzählt, wie ein schwäbischer Handwerksbursche "durch den Irrtum zur Wahrheit und zu ihrer Erkenntnis" gelangt. Die Geschichte erweist sich als doppelbödig, denn der Aufklärer Hebel hinterfragt mit ihr Anspruch und Wirksamkeit rationaler Aufklärung.
Abschließend werden Komposition und Erzähltechnik der laut Ernst Bloch "schönsten Geschichte der Weltliteratur" untersucht: "Unverhofftes Wiedersehen". Hebel fand den Bericht über die Auffindung einer in Eisenvitriol konservierten Leiche und deren Identifizierung durch die ehemalige Verlobte des Toten unter dem Titel "Dichteraufgabe" in einer Zeitschrift. Durch seine Gestaltung des Stoffes hebt er die Einzigartigkeit des Ereignisses hervor und rückt es in die zeitliche Nähe des Lesers. Durch die Hinzufügung von drei Erzählphasen, die Datierung der geplanten Hochzeit und der Wiederauffindung des Toten sowie die Verflechtung verschiedener detailbildender Motive erzählt uns Hebel in auch heute noch berührender Weise, dass Liebe und Treue Zeit und Tod überwinden.
Ob Hebel uns heute mit seinen Geschichten noch "Rat weiß", hängt von unseren Erfahrungen und Einstellungen ab, sicher sind sie unterhaltsam und öffnen neue Blicke auf das Leben.