Dass Glück verfügbar ist und sein muss, ist eine Voraussetzung nicht nur der Ethik der Stoa, sondern der Ethiken des Hellenismus insgesamt. Glück kann nichts zu tun haben mit positiven Zufällen (wie etwa heutzutage einem Lotto-Gewinn); es muss aber auch unabhängig sein von äußeren Umständen wie z.B. Gesundheit, guten familiären, ökonomischen und politischen Verhältnissen, die nach der Ethik der klassischen Antike etwa eines Aristoteles zum Handeln aus der Tugend hinzukommen müssen, um ein Leben voll gelingen, d.h. glücklich (eudaimôn) sein zu lassen. Das Glück wird im Hellenismus zu einer höchst individuellen und privaten Angelegenheit. Worin besteht es? Für die Stoiker in der apatheia, der Affektfreiheit, für Epikur in der ataraxia, der Erregungsfreiheit und das heißt für beide: in der Ausgeglichenheit der Seele, der Seelenruhe. Wenn man diesen Zustand erreicht, stellt sich das positive Gefühl des Glücks wie von selbst ein. Aber wie erreicht man diesen Zustand? Hier scheiden sich die Wege von Stoa und Epikur. Nur der der Stoa wurde im Vortrag weiterverfolgt, der Epikurs sollte Thema der nächsten Tagung sein.
Um den Zustand des Glücks und damit das höchste Gut zu erreichen, muss man nach Zenon von Kition (333 – 264 v. Chr.), dem Gründer der Stoa, „einstimmig leben". Weil die Formel nicht sagt, womit man übereinstimmen soll, hat Kleanthes, der Nachfolger Zenons, sie ergänzt zu: „einstimmig mit der Natur leben", was wiederum nach Chrysipp bedeutet, man müsse „gemäß der eigenen Natur und gemäß der Natur des Ganzen" leben. Da aber die eigene Natur ein Teil der Natur des Ganzen ist, lebt man der Natur gemäß, wenn man nichts tut, „was das allgemeine Gesetz zu verbieten pflegt". Das allgemeine Gesetz ist die alles ordnende Vernunft (orthos logos, recta ratio), an der die Menschen durch das leitende Prinzip in ihnen (hêgemikon) teilhaben. Was hat dies nun mit der aus der Affektfreiheit entspringenden privaten Glückempfindung zu tun? Es hat mit dem zu tun, was das Vernünftige im Handeln ist. Es besteht darin, nur das zu wollen, was man auch kann, andernfalls kommt es zu einer sich immer mehr steigernden Spannung zwischen dem Wollen eines Zieles und seinem Erreichen. Diese Spannung ist der Affekt, der die Seele nicht zur Ruhe kommen lässt. Nicht dass wir überhaupt auf bestimmte Ziele aus sind, die uns, wie z.B. der Reichtum, von Natur aus als bevorzugte Ziele erschlossen sind, ist das Problem, sondern dass wir sie aufgrund eines falschen Urteils der Vernunft als solche anstreben, die uns verfügbar sind. Sind sie einmal als solche beurteilt, verkommt Vernunft selbst zu einem bloßen Mittel zum Erreichen solcher Ziele. Wendet Vernunft gemäß ihrem natürlichen Interesse an Selbsterhaltung sich auf sich zurück, um einstimmig mit sich zu sein, dann korrigiert sie die Falschheit des Urteils, wird wiederum „rechte Vernunft" (recta ratio als correcta ratio durch sie selbst) und vermittelt die Einsicht, dass nichts außer ihr selbst und der Einstellung zu den Dingen, d.h. die Tugend das wirklich Verfügbare und Gute ist. Alles andere ist entweder das Gegenteil von ihr, also schlecht, oder weder sittlich gut noch schlecht, sondern indifferent (adiaphoron). Weil es auf unsere Einstellung zu den Dingen ankommt, die in unserer Macht liegt, und auf sonst nichts, ist das Glück verfügbar. In einer solchen Einstellung stimmen wir mit uns selbst als Vernunftwesen überein und sind darin in Einstimmung mit der Vernunft der Natur im Ganzen.