Das Referat beschäftigte sich mit jener Art von Terrorismus, für die Religion als Beweggrund für terroristisches Handeln und gleichzeitig auch als moralische und politische Legitimation dafür verwendet wird. Aufgezeigt sollte auch werden, dass religiös motivierter Terrorismus zwar entscheidende Wesensmerkmale der Moderne vehement bekämpft, aber selbst ein Produkt der Moderne ist.
Unter Terrorismus sind zu verstehen: planmäßig vorbereitete, schockierende Gewaltanschläge gegen die politische Ordnung aus dem Untergrund, die vor allem Unsicherheit und Schrecken verbreiten, daneben aber auch Sympathie und Unterstützungsbereitschaft erzeugen sollen.
Nach dem Terrorismus-Forscher David Rapoport verläuft der moderne Terrorismus seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in vier Wellen:
Die erste Welle ist der Anarchismus, der sich vor allem im zaristischen Russland ausbreitete. Der anarchistische Terrorismus führte zur Ausbildung der modernen Staatspolizei und der Geheimdienste.
Die zweite Welle ist der ethnonationale und antikoloniale Terrorismus.
Die dritte oder »Neue Linke«Welle ist Terrorismus in den höchst entwickelten Industrienationen. Er macht sich die demokratischrechtsstaatlichen Bedingungen zunutze. Mit verhältnismäßig wenigen Attentaten verschafften sich die RAF, die Action Directe oder die Brigate Rosse ein Maximum an Aufmerksamkeit.
Die vierte Welle ist der religiös motivierte Terrorismus. Eine auf religiös-ideologische Weise genährte Weltsicht kann mitunter von militanter Feindseligkeit und sozialer Abschließung zu offensiven Gewalttaten wechseln. Eine wesentliche Quelle dafür ist die Enttäuschung über „die Moderne", vor allem über die ungleiche Verteilung der Chancen in der Gegenwart.
Fundamentalismus: Als „fundamentalistisch" wird eine religiöse oder weltanschauliche Bewegung bezeichnet, die eine Rückbesinnung auf die Wurzeln einer bestimmten Religion oder Ideologie fordert, welche notfalls mit radikalen und teilweise intoleranten Mitteln durchgesetzt werden soll.
Religiöser Fundamentalismus bezieht sich meist auf ein fundamentales Buch oder eine Gründungslehre, von der es keine Abweichungen oder zeitbedingte Anpassungen geben dürfe. Religiöser Fundamentalismus richtet sich meistens nicht so sehr gegen Andersgläubige, sondern gegen die eigenen Glaubensbrüder, denen Aufweichung der Lehre und der Sitten, Abfall oder Häresie vorgeworfen wird. Ergänzend kommt dazu der Wille, religiös begründete Überzeugungen auch politisch durchsetzen zu wollen.
Fundamentalismus versteht sich in der Regel als Reaktion auf eine Aufweichung von Überzeugungen, die am Anfang des jeweiligen Glaubens oder Ideologie standen. Anpassung an aktuelle Lebensumstände oder ethische Kompromisse erscheinen in einem fundamentalistischen Weltbild als Verrat an dem Gründungsverständnis des Glaubens oder der Ideologie.
Terrorismus und Fundamentalismus sind manchmal miteinander verbunden, dürfen aber keinesfalls in eins gesetzt werden. Die allermeisten Formen von religiösem Fundamentalismus sind nicht terroristisch.
Seit der Aufklärung und dem Übergang zur Moderne wird die Religion nicht mehr als allumfassendes Paradigma des gesellschaftlichen Lebens und des politischen Verbandes anerkannt, sondern zu einem Teilbereich und gesellschaftlichen Subsystem reduziert, das mit einem deutlichen Bedeutungsverlust zu kämpfen hatte. Damit entstanden auch bislang unbekannte Formen radikalisierter Religion, die sich mit veränderten, ebenfalls modernen Mitteln um eine Restauration der einstigen Vormachtstellung des Religiösen bemühen.
Religiöser Fundamentalismus ist aber keine nahtlose Fortsetzung mittelalterlicher Formen extremistischer oder radikalisierter Religionsausübung, sondern eine völlig neue Qualität politisierter Religion mit einem gesamtgesellschaftlichen Gestaltungsanspruch. Darunter sind auch Formen ideologischreligiöser Abschließung, die unter den Bedingungen der Moderne und durch Einschließung moderner Errungenschaften den bestimmenden Platz der Religion im Zentrum gesellschaftlichen Lebens zurückfordern, der dieser vor dem Anbruch der Moderne zukam. Religiöser Fundamentalismus ist also selbst Produkt der Moderne und gleichzeitig ihr vehementester Gegner.
Modern ist er deshalb, weil er seine gesellschaftspolitische Mission analog zu säkularen Ideologien der Moderne wie Nationalismus, Sozialismus oder Faschismus formuliert und von einer grundsätzlichen Machbarkeit des Gesellschaftlichen ausgeht.
Modern ist er außerdem, weil er in vielen Fällen in direkter Kombination mit eben diesen anderen modernen Ideologien auftritt und teilweise sogar mit ihnen fusioniert. Der religiöse Fundamentalismus im heutigen Palästina z.B. steht nicht nur in direkter historischer Nachfolge sozialistischer Bewegungen, sondern ist auch ohne das Rückgrat nationalistischer Programmatik nicht denkbar.
Modern ist dieser Fundamentalismus schließlich, weil er mit Techniken und Organisationsformen der Moderne operiert und diese zur Durchsetzung seiner langfristigen Ziele nutzt.
Religiöser Fundamentalismus zeichnet sich als Weltbild dadurch aus, dass die Religion selbst den alleinigen oder zumindest entscheidenden Referenz und Legitimationsrahmen für das innerweltliche Handeln darstellt. Im Zentrum des Fundamentalismus stehen bestimmte Traditionselemente schriftlicher wie nichtschriftlicher Form, die mit einem inhaltlichen Reflexionsverbot belegt werden, um sie als neue Gewissheiten in einer ungewissen Moderne zu etablieren.
Durch dieses Reflexionsverbot sollen sie vor dreierlei Infragestellungen geschützt werden: Erstens vor den Anschauungen derer, die innerhalb der eigenen Religion vom »rechten Glauben« abgefallen sind. In den meisten Fällen bildet diese Gruppe der vermeintlich Abgefallenen in den eigenen Reihen die hauptsächliche Bedrohung, vor der sich »rechtgläubige« Fundamentalisten zu schützen versuchen.
Zweitens sehen sich religiöse Fundamentalisten durch andere Religionen und Glaubensformen gefährdet. Die Pluralisierung moderner Gesellschaften in konfessioneller und religiöser Hinsicht ist eine Entwicklung, die die Exklusivität religiöser Deutungsmuster in Frage stellt und daher als Gefahr interpretiert wird.
Drittens bilden Agnostiker und Atheisten ein Feindbild, da sie der Existenz Gottes bzw. seiner Offenbarung insbesondere in Bezug auf Staat und gesamtgesellschaftliche Organisation keinerlei Relevanz einräumen. Der religiöse Fundamentalismus sieht darin ein wesentliches Hindernis, dem religiösen Glauben wieder jene zentrale Funktion zukommen zu lassen, die dieser in vormodernen Zeiten innehatte.
Das Verhältnis zwischen dem religiösen Fundamentalismus einerseits und dem Terrorismus andererseits ist nur in eine Richtung ein zwingendes: Religiöser Terrorismus ist per definitionem eine politische Strategie, die sich aus dem Weltbild des religiösen Fundamentalismus heraus legitimiert.
Umgekehrt jedoch kann das Phänomen des religiösen Fundamentalismus nicht auf aktive Gewaltanwendung oder gar Terrorismus reduziert werden. Schon die Tatsache, dass es sich im einen Fall um ein Weltbild und im anderen um eine politische Strategie handelt, macht eine Gleichsetzung wenig sinnvoll. Religiöser Fundamentalismus existiert auch in gewaltloser Form und setzt begrifflich keine Gewalt als Wesensmerkmal voraus. Die Methoden bzw. Strategien, die Fundamentalisten einsetzen, sind vielfältig.
Aus der ideologischen Anlage des religiösen Fundamentalismus ergibt sich jedoch ein deutlicher Zug zur Intoleranz und in weiterer Folge auch zur physischen Bekämpfung von Differenz. Religiöser Fundamentalismus lehnt bereits einen Dialog über die unter einem Reflexionsverbot stehenden Grundpfeiler seiner religiösen und damit gesellschaftspolitischen Gewissheiten ab, sodass der Schritt zur Bekämpfung und auch Vernichtung des Anderen und seiner Vertreter nahe liegt. Religiöser Terrorismus ist jedoch primär eine Strategie der atmosphärischen Veränderung der Öffentlichkeit, die den Gegner nicht in erster Linie auslöschen, sondern jene Rahmenbedingungen herstellen soll, die ihn zu einer Gegenreaktion zwingen, die dem strategischen Kalkül der Terroristen entspricht. Religiöser Fundamentalismus liefert dafür die Diagnose einer ungerechten Vergangenheit und Gegenwart und die Motivation einer heilsgeschichtlich aufgeladenen, in jedem Fall siegreichen Zukunft.