Das in zwei Teile gegliederte Referat erläuterte zunächst einige Voraussetzungen der Kompositionstechnik des österreichischen Komponisten Georg Friedrich Haas (geb. 1953) und versuchte dann eine Anwendung der gewonnenen Unterscheidungsmöglichkeiten in einer detaillierten Werkanalyse und Hörübung. Für die erstgenannte Fragestellung waren Hinweise auf drei kompositionstechnische Konzepte nötig, die auf die Arbeit von Haas eingewirkt haben und die sich u.a. darin unterscheiden, welche Rolle die für Haas wichtige Mikrotonalität in ihnen spielt.
Ein besonderer Schwerpunkt war zu setzen auf die aus Frankreich stammende sog. musique spectrale, mit der Haas u.a. auf den Darmstädter Ferienkursen der achtziger Jahre und am IRCAM in Paris (1991) in Berührung gekommen ist. Die Komponisten der musique spectrale gehen von den physikalisch messbaren Eigenschaften von Klängen bzw. Klangprozessen aus, die sie in der sog. synthèse instrumental auf das Spiel mit Instrumenten übertragen, eine Transposition aus dem Mikrobereich der Akustik in den Makrobereich der Musik mit weitreichenden Folgen für die kompositorische Struktur. Zu exemplifizieren waren die Techniken der »Spektralmusik« an Werken des wichtigsten Protagonisten dieser Stilrichtung, Gérard Grisey (1946-1998), an Prologue (1976 / 1998) und Partiels (1975) aus dem Zyklus Les Espaces Acoustiques.
Der Einfluss der musique spectrale auf das kompositorische Konzept von G.Fr. Haas wurde zunächst an einem Detail der Haasschen Orchesterbearbeitung einer unvollendeten Klaviersonate von Schubert (Torso für großes Orchester, 1999 / 2000) demonstriert, in dem Haas Schubert »spektralistisch« interpretiert. Weitere Belege waren dem Orchesterstück Nacht- Schatten (1991) zu entnehmen.
Der zweite Teil des Referates war der ausführlichen Analyse und dem mit Graphiken unter- stützten Hören des Stückes »....« für Akkordeon, Bratsche und Kammerensemble von Haas gewidmet. Das verschlüsselt betitelte Stück ist gebildet aus einer 24-tönigen Reihe, die darin linear, in Klangfeldern und in Akkordfolgen mehrfach nacheinander – z.T. auch in Überlappung – exponiert wird. Die 1995 entstandene Komposition zeigt einen starken Bezug zur musique spectrale. Es gibt Klangformen, die an die synthèse instrumental akustischer Phänomene erinnern, und es findet in der melodischen Brechung fixierter Klangstrukturen die für die Spektralmusik typische Verbindung von musikalischer Horizontale und Vertikale statt. Aber das Tonmaterial ist nicht mehr das der Spektralmusik – auf Mikrotonalität wird ganz verzichtet – , und auch in den formbildenden Prozessen greift Haas auf traditionelle Modelle zurück. Insgesamt ist das Stück ein Beispiel für eine gelungene Integration unterschiedlichster Gestaltungstendenzen in der heutigen Musik.