Im Frühjahr 1989 trat der Düsseldorfer Maler Gerhard Richter mit 15 Ölgemälden an die Öffentlichkeit, die heute unter der Bezeichnung RAF-Zyklus bekannt sind. Der Originaltitel lautet »18.Oktober 1977« und verweist auf Ereignisse um den Terrorismus der Baader-Meinhof-Gruppe, die sich selbst Rote-Armee-Fraktion oder kurz RAF nannte. Auf den Gemälden sind u.a. Andreas Baader und Gudrun Ensslin dargestellt, wie sie am Morgen des 18.Oktober 1977 in ihren Zellen der Strafvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim tot aufgefunden wurden. Der Zyklus ist in mehrerer Hinsicht problematisch. Zunächst gehört der Terrorismus der 70er Jahre zu den unverarbeiteten Traumata der deutschen Nachkriegsgeschichte. Zum anderen gelten historische Begebenheiten seit dem zweiten Weltkrieg in der Kunst als nicht mehr abbildlich darstellbar. Gerhard Richter unternahm diesen Versuch dennoch.
Es sind vier relevante Wahrnehmungskontexte bzw. -momente auszumachen, aus deren Verknüpfung sich die spezifische Berechtigung wenn nicht gar aktuelle Notwendigkeit des Richterschen RAF-Zyklus erschließen lässt. Dies sind 1. das Wissen um die mit dem sogenannten »Deutschen Herbst« verknüpften Ereignisse, 2. der Bezug zur Geschichte der Malerei hinsichtlich des Todesthemas, 3. die Verwendung von Polizei- und Tatortfotos als Bildvorlagen und 4. der Einfluss der Bildmaterialität durch die spezifische Malweise Richters. Es lässt sich zeigen, dass die Wirkungsweise der Bilder sie für eine Bestätigung vorgefasster politischer Meinungen unbrauchbar macht und stattdessen in eine Reflexion über den Zusammenhang von Wahrnehmung, Sichtbarkeit und Sinn hineinführen. Dieser Zusammenhang erhält durch die Geschichte der dargestellten RAF-Terroristen eine besondere Brisanz ebenso wie eine allgemeine individuelle wie politisch-gesellschaftliche Relevanz. Die RAF-Bilder heben durch eine anschaulich erfahrbare und konzeptuell differenzierte Weise der Verunklärung die Illusion eines gegebenen Sinns der Bilder wie des historischen Ereignisses auf. Sie machen sich dadurch als Spiegel der Sinnbedürfnisse des Betrachters sichtbar. Diese »Bildstörung« kann Anlass sein für einen bewussten, selbstreflektierten Umgang mit Sinnansprüchen angesichts von Bildern und insbesondere im Zusammenhang historischer Ereignisse oder auch des Todesthemas. Das biblische Bilderverbot erhält in diesem Kontext einen differenzierten, nicht schlechthin bilderfeindlichen Sinn.