Die Vorstellung vom Menschen als einem homo oeconomicus, einem rationalen Egoisten, wird der Sache nach gemeinhin auf Adam Smith zurückgeführt. Im ersten Teil des Vortrags wurde zunächst verdeutlicht, dass Smith den Menschen keineswegs auf diese Eigenschaft reduziert, wenn er etwa in seiner »Theorie der ethischen Gefühle« davon spricht, wie schön es sei, »auf den größten eigenen Vorteil zu verzichten.« Auch John Stuart Mill hat für die Politische Ökonomie bezüglich der Prognosen des menschlichen Verhaltens, das aus dem Streben nach Reichtum resultiert, nicht den Anspruch erhoben, ein umfassendes Menschenbild zu entfalten.
Erst seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts ist das Verhaltensmodell des rationalen Egoisten in der Weise umgedeutet worden, dass nunmehr der homo oeconomicus als Vernunftwesen schlechthin begriffen wurde. Gary S. Becker etwa ist davon überzeugt, dass der ökonomische Ansatz »auf alles menschliche Verhalten« anwendbar sei.
Die immer stärkere Ökonomisierung aller Lebensbereiche wird sinnfällig zum Beispiel an der Gestaltung des Fernsehbildes des privaten Nachrichtensenders »n-tv:« Am unteren Rande sieht man ein Laufband mit aktuellen Informationen zu Aktien- und Wechselkursen, und zwar bei allen Meldungen – nur nicht bei der Werbung.
Realistisch ist das auf den homo oeconomicus reduzierte Menschenbild selbst für wirtschaftliches Handeln aber keineswegs. Wie sehr die Vorstellung der Berechenbarkeit menschlichen Verhaltens versagt, belegt eindrucksvoll das regelmäßige Scheitern der Versuche, Konjunktur- und Aktienkursverläufe zu prognostizieren.
Ein realistisches Menschenbild umfasst auch unkalkulierbare subjektive Präferenzen und vielfältige Formen von Kreativität. Ökonomie als Wissenschaft hat zudem die ihr zugrunde liegenden ethischen Dimensionen zu entdecken und zu berücksichtigen. Eine solche dem ökonomischen mainstream entgegen gesetzte Forschungsrichtung scheint sich mit Grundannahmen und Intentionen des St. Gallener Ökonomen Peter Ulrich und seiner »Integrativen Wirtschaftsethik« verbinden zu lassen.
(Zusammenfassung: Klaus Blesenkemper)