Welche Texte lassen sich komponieren, ohne dabei selber zu verlieren oder, umgekehrt, ohne die Musik zu gängeln, so daß sie zu einer illustrierenden Untermalung herabgedrückt wird? Der Spielraum der Lyrik reicht von einer fast verstummenden Gedrungenheit bis zur allzu beredten Klarheit völlig herausgearbeiteter Vorstellungen. Diesen Extremen und ihren Nuancen vermag die Musik als eigengesetzliche Kunst zu begegenen, zu widersprechen und zu entsprechen. In der Vertonung geht sie eine spannungsreiche Verbindung ein: »married to immortal verse« (L’Allegro 137). Das gängige Plädoyer für eine Art ‘mittlere Poesie’ – ein Libretto müsse leicht und faßlich sein, nicht zu inwendig und nicht zu reich vorstellend – muß man fallen lassen, schon von seiner inneren Unstimmigkeit her, als auch angesichts großer Vertonungen. John Miltons Zwillingsgedichte L’Allegro und II Penseroso sind gewiß keine mittlere Poesie. Sie stellen die beiden gegensätzlichen Charaktere l’Allegro und il Penseroso in einer Fülle von Empfindungsweisen. Vorlieben und Abneigungen, Erlebnissen, Gedanken, Handlungen, Verhaltens- und Lebensweisen vor. Geeint ist diese Fülle auf zweifache Art. Jeder der Charaktere kommt in seinen vielfältigen Zügen zur Erscheinung und darüber hinaus kontrastieren sie einander. James Harris (1709-1780), Händels Librettist, hat diese Einheit durch Kontrast aufgenommen, ausgenutzt und die Gedichte so ineinandergeschoben, daß für den Hörer eine Art Dialog der Charaktere entsteht. In den Vorträgen und Diskussionen wurden Miltons Gedichte zunächst ohne Rücksicht auf die Komposition besprochen, ferner James Harris als Person vorgestellt und seine Abhandlung über Malerei, Musik und Dichtung referiert. Musik ist eine nicht-mimetische Kunst und kann gerade aus dieser Ferne zur Dichtung mit ihr zusammen das gemeinsame Werk, Oratorium und Oper, hervorbringen.

Im Anschluß an das Referat Friedrich A. Uehleins war am letzten Termin der Arbeitswoche noch vom II Moderato-Schlußteil der Händelschen Ode die Rede, insbesondere von dem an vorletzter Stelle des Werkes stehenden Duett As steals the morn upon the night, dessen Text Charles Jennens aus einem Shakespeare-Zitat (Prospero in »Der Sturm«) gewonnen hat. Der »Naturklang« in diesem Stück, eine (von den Streichern getragene, beschwingte Wellenbewegung, ist als Natur-Imitat sehr unbestimmt. Es versetzt uns – so hätte James Harris gesprochen – in eine »Gemütsverfassung«, Empfindungen vorwegnehmend, für die erst der Text dann konkrete Anknüpfungspunkte bietet (hier: das Erwachen des Morgens, das Anbrechen der »Aufklärung«), Zu dieser Gemütsverfassung trägt natürlich auch die spezielle Konvention des barocken Duetts bei, das in der maßgeblichen Gattung der Zeit, der Oper, häufig das eigentliche »lieto fine« der Handlung ist.