Wenn in einer Kirche (wie z.B. in St. Josef, Münster-Kinderhaus) die Fenster erneuert werden, geht es nicht nur darum, wie diese Fenster gestaltet werden sollen und ob durch die Gestaltung der Kirchenraum heller oder dunkler wird, sondern auch um die Frage, welche Lichtführung im Raum durch die Fenster geschieht und welche Bedeutung dem einfallenden Licht im Raum zukommt. Was geschieht, wenn das durch die Fenster von außen einfallende Licht zum Innenlicht wird? Darf es, um Innenlicht eines sakralen Raumes zu werden, ungebrochen in die Kirche einfallen?
Zwei Vorbemerkungen waren notwendig: Zunächst war festzuhalten, dass dies für den antiken Sakralbau (mit ganz wenigen Ausnahmen) kein Problem war. Das Götterbild stand in der dunkeln Cella des Tempels. Der Gottesdienst in Form von Opfern fand nicht im Tempel, sondern vor ihm oder im Bezirk um ihn statt. Auch das Allerheiligste des Jerusalemer Tempels, in dem sich die Bundeslade mit den zwei Cherubim befand, war dunkel. Die Christen feiern ihre Liturgie nicht vor der Kirche, sondern in der Kirche, die selbst kein Tempel ist (aber in Form des Tabernakels mit der konsekrierten Hostie darin etwas Ähnliches zurückerhält). Der christliche Kult ist überhaupt nicht an einen bestimmten Ort oder Raum gebunden. Das Sakrale ist dort, wo zwei oder drei im Namen Jesu Christi Eucharistie feiern. Von da her gibt es eine Freiheit der Ortswahl und Raumgestaltung für das liturgische Geschehen, solange sie am Sinn dieses Geschehens orientiert bleibt. Oft wurden allerdings Kirchenräume über heiligen Orten wie etwa der Grabeshöhle Jesu errichtet.
Zweitens war zu vergegenwärtigen, was ein Fenster ist. Es ist ursprünglich eine Maueröffnung zur Belichtung und Belüftung von Innenräumen; es ist also nicht – wie wir heute gewöhnlich assoziieren – der Verschluss einer solchen Öffnung etwa durch eine Glasscheibe. Zwar wurde Glas schon um 1500 vor Christus in Mesopotamien erfunden (für Schmuck und Gefäße), aber erst im 12. Jahrhundert nach Christus wusste man Flachglas in größeren Mengen zu produzieren. Das hat baugeschichtlich und hinsichtlich der Lichtführung im Kirchenraum eine enorme Bedeutung, wie an Kirchen den Romanik, der Gotik, des Barock und Gottesdiensträumen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gezeigt wurde.
Als Prototyp einer romanischen Kirche wurde der Dom zu Speyer gewählt. Es ging zunächst darum, zu zeigen, wie durch das dem basilikalen Schema vorgelagerte Querschiff und die abgerückte Apsis ein Grundriss in der Form eines lateinischen Kreuzes entstanden ist. Der Rhythmus der massiven Pfeiler des Hauptschiffes mit ihren vorgeblendeten, bald betonten, bald unbetonten Halbsäulen erzeugt zusammen mit den durch roten Sandstein hervor-gehobenen Gurtbögen zwischen den sechs Kreuzgewölben eine Bewegung nach vorn zum Altarraum. So wird aus der Fläche des Hauptschiffes ein Weg in Richtung Osten. Die den Pfeilern vorgeblendeten überstreckten Halbsäulen übertragen die Struktur der unteren Arkadenbögen nach oben in Rundbögen über Fenstern im Obergaden, wobei pro Gewölbe je zwei Fenster einander gegenüberliegen. Im Zwickel über ihnen ist mittig ein weiteres kleines Fenster eingeschnitten. Aus großer Höhe fällt aus vergleichsweise großen Fenstern das raumbestimmende Licht ein mit deutlicher Führung von oben nach unten. Dieses in das Hauptschiff einstrahlende natürliche Licht lässt sich deuten als Symbol übernatürlichen Lichtes, das den Weg des Gottesvolkes in der dunklen unteren Region der Kirche in Richtung Altar und darüber hinaus erleuchtet. Die architektonische Notwendigkeit, Fenster als Maueröffnungen zum Schutz vor Regen möglichst nah unter dem Dach in dicke, eine tiefe Laibung erlaubende Wände einzuschneiden, bedingte eine Lichtführung, mit der sich eine symbolische Bedeutung verbinden ließ.
Die Lichtführung einstrahlenden Lichtes konnte an sehr kleinen Kirchen auf dem Pilgerweg nach Santiago di Compostela in Spanien besonders deutlich gemacht werden. Ein schmaler senkrechter Fensterschlitz in der Apsis bedingt ein stark gerichtetes Licht, das den dunklen Raum nicht eigentlich erhellt, sondern, in ihn einstrahlend, seine Leuchtkraft demonstriert. Es leuchtet den Raum nicht aus, sondern zerlegt ihn in Hell-dunkel-Bereiche. Das bestätigte sich weiter in großen romanischen Abteikirchen und Kathedralen in Frankreich.
Was Gotik ist, an bestimmten Formen von Bauteilen festmachen zu wollen, führt nicht weit. (Den Spitzbogen gab es schon in der Romanik). Die Formen ergeben sich aus dem Interesse am Licht, d.h. aus der Grundintention, einen immer stärker durchlichteten (was nicht heißt einen hellen) Kirchenraum hervorzubringen. Aber warum das? Weil in der Erscheinung des Lichtraumes unter Wirkung der Sonne ein sinnenfälliger Vorschein jenes Lichtes gegeben ist, in dem und durch das Gott selbst als der überhelle Ursprung und Grund von allem die Welt geschaffen hat. Zwei Traditionen, die sich schon in früheren Jahrhunderten verbunden hatten, wurden dabei reaktualisiert: die biblische Tradition (AT: Gen 1,3; Ps 4,7; Ps 27,1; Ps 36,10. NT: 1 Joh 1,5-7; 1 Tim 6,16; Jak 1,17; Apk 21,22-24) und die Tradition der Lichtmetaphysik des Platonismus, die von Ps.-Dionysius Areopagita im 6. Jahrhundert in christliche Theologie transformiert wurde. Für Ps.-Dionysius ist das natürliche Licht der Sonne nicht etwa eine Metapher für das geistige Licht, in dem Gott wohnt, sondern gut platonisch (vgl. Sonnen-gleichnis in der Politeia) dessen von ihm selbst verursachtes »Abbild« und »Echo«, so dass es möglich ist von der lichthaften Erscheinung der sichtbaren Welt zum intelligiblen Licht der jenseitigen Welt aufzusteigen, aufzusteigen zum himmlischen Jerusalem, welches durch »die Herrlichkeit Gottes«(Apk 21,23) erhellt wird. Weil das Licht des Schöpfers Spuren und Zeichen in der materiellen Welt hinterlässt, kann schon Johannes Scotus Eriugena (810-877) sagen: »… dieser Stein und dieses Holz ist für mich ein Licht (…), sie werden mir zu Lichtern, d.h. sie erleuchten mich.« Solche Spuren fand man auch in Gold und Silber, in Edelsteinen, Perlen und leuchtenden Farben. Kunst griff sie auf in Mosaiken, in Glasfenstern und kostbaren Geräten; und auch der Kirchenbau sollte eine zum Ursprungslicht hinauf-führende Erfahrung von Licht vermitteln.
Wie ließ sich das realisieren? Die Fenster mussten größer und der Raum insgesamt durchscheinender werden. Die konstruktiven Mittel dazu fand man in der Verbindung von normannischem Kreuzrippengewölbe und Spitzbogen. Unter Einsatz dieser technischen und zugleich gestalterischen Mittel zum Zwecke der Errichtung eines durchlichteten Raumes verwandelte sich der romanische, vielteilige Dom in die einheitliche gotische Kathedrale. Beispielhaft wurde das zunächst an der Abteikirche von St. Denis gezeigt, die wegen der lichtmetaphysisch bestimmten Umbautätigkeit des Abtes Suger gemeinhin als Ursprungsort der Gotik betrachtet wird. Die Beschreibung des Wandaufbaus kann hier nicht resümiert werden. Es hat sich gezeigt: Wenn in der Romanik das Fenster noch eine Maueröffnung zur Belichtung und Belüftung des Raumes war, so ist in der Gotik mit der Möglichkeit des Fensterverschlusses durch Glas, mit der Technik der Verglasung und der Halterung der Glas-flächen durch das Maßwerk, der Fensterverschluss selbst in die Funktion einer Wand umgeschlagen, deren Durchlichtung einen diaphanen Raum hat entstehen lassen. Durch die unterschiedliche Tönung der Gläser – sie sind nicht immer bunt – wird das natürliche Außenlicht in ein homogenes Innenlicht verwandelt, das sich an den zu Säulenbündeln (Diensten) aufgelockerten Pfeilern niederschlägt. Der Sinn der gotischen Lichtführung ist die Seelenführung zum unsichtbaren, göttlichen Licht.
Wenn man auch den Beginn des barocken Kirchenbaus an einem Bauwerk festmachen will, dann ist es die älteste Jesuitenkirche in Rom: Il Gesù (begonnen 1568). Im Grundriss ist die Kreuzesform einer dreischiffigen Kirche noch erkennbar, aber die Seitenschiffe sind zu einer Reihe von je drei Kapellen geschrumpft und die darüber befindlichen Emporen sind durch ihre Vergitterung völlig in die Wand zurückgenommen. Das Querschiff ragt kaum über die Flucht der Außenwände hinaus und weitet innen das Langhaus vor der Apsis eher aus, als dass es als eigenes Bauelement hervortritt. Die Fenster liegen hoch entweder im Tambour unter der Kuppel oder sind eingeschnitten ins Gewölbe über einem ringsum laufenden, profilierten und stark vorkragenden Gesims, welches deutlich eine obere und eine untere Zone des Kirchenraums abteilt. Es ist zu beachten, dass die farbige Ausgestaltung der Kirche erst beinahe hundert Jahre später erfolgte. Viel Kirchen des Frühbarock waren ursprünglich weiß gestrichen und manche spätere sind es heute noch (Theatinerkirche in München).
Wir haben einen weiten Einheitsraum vor uns, der für die Versammlung der Gläubigen bestimmt ist, die von jedem Platz in der Kirche aus einen unverstellten Blick zum Hochaltar und zum Prediger haben. Was geschieht hier mit dem Licht? Es ist ein weißes, von gelegentlichen Glasmalereien kaum gebrochenes Licht, das die weite Halle erhellt, das den Raum beleuchten und in seinen Formen zeigen soll. Die Architektur insgesamt und der Innenraum bekommen Bildcharakter, zumal durch Stuckierung Bildelemente auf die Wände aufgebracht werden konnten.
Noch deutlicher wird die Lichtführung der Beleuchtung in jenen Kirchen, die mit Wand- und Deckengemälden ausgestattet sind. Indem in der Klosterkirche von Weltenburg der obere Teil der Kuppel wie ein Deckel vom unteren um ein paar Meter abgehoben ist, gelingt es, das Deckengemälde der Ecclesia triumphans durch zwölf hinter der Kuppel versteckte Fenster wie aus einer Kulisse heraus zu beleuchten. Hier gibt nicht mehr wie in der Gotik die sinnliche Erfahrung des Lichtes und die lichthafte Schönheit der Materie den Anstoß im inneren Menschen real aufzusteigen zum lichten Ursprung und Schöpfer des Lichtes, sondern das Licht zeigt den malerisch vorgestellten Aufstieg und ein sinnliches Bild von dem, wie die jenseitige Dimension aussieht.
Der Moderne stehen auf Grund des historischen Wissens alle früheren Formen der Lichtführung und dazu noch eigene neue zur Verfügung, manchmal gleichzeitig in einem Raum wie z.B. in der Wallfahrtskirche von Ronchamp von Le Corbusier. Im Vortrag ging es um die Frage, was geschieht, wenn Glasfenster das Tageslicht ohne Brechung durch Bemalung, Mattierung oder Strukturierung in den Kirchenraum einfallen lassen. Einige Beispiele von Kirchen mit solchen Fenstern wurden gezeigt. Hier sei nur an die erste erinnert: die Kapelle des Studentendorfes in Otaniemi in Finnland von Heikki und Kaija Siren. Das Dia bot einen Blick in den Kirchenraum, der, gestützt auf eine sichtbare Holzkonstruktion (zwei Trägersysteme), mit einem Pultdach gedeckt ist, das von einer hoch liegenden Glaswand im Süden steil abfällt zu einer völlig durchsichtigen Glaswand im Norden, die durch die senkrechte Fortführung der waagerechten unteren Balken der Dachkonstruktion in lediglich drei große Flächen unterteilt ist. Der mittig davor stehende tischförmige Altar und der Ambo links daneben sind mit ihren dünnen Bauteilen so gehalten, dass man sozusagen durch sie hindurchsehen kann. Wohin? Nach draußen, wo der Blick nach kurzer Entfernung auf ein aus schlanken, weiß gestrichenen Vierkantbalken gezimmertes großes Kreuz mit weiten Armen trifft, hinter dem, ein paar Meter weiter, ein Mischwald beginnt.
Was geschieht nun hier mit dem Fenster? Auch hier ist es eine Wand aus Glas, aber nicht wie in der Gotik eine, die durch ihre Farbigkeit das natürliche Außenlicht in sein symbolisches Innenlicht umformt, so dass damit die Differenz von profaner Umgebung und sakralem Bezirk markiert wird, sondern umgekehrt eine Glaswand, die diese Differenz, an die sie als Raumbegrenzung erinnert, aufhebt. Das einfallende Licht will nicht einen Aufstieg ins Licht der übernatürlichen Welt anstoßen, sondern den optischen Überschritt vom Kirchenraum in die Natur und die angrenzende Umgebung hinein ermöglichen, um sie so – umgekehrt – in das Gottesdienstgeschehen hineinzunehmen. Man sieht: Auch diese Form der Lichtführung im Kirchenraum hat theologische, hier schöpfungstheologische Bedeutung.
Aus dem Ganzen ergibt sich: Die Möglichkeiten der Lichtführung bei der Neugestaltung von Kirchenfenstern bleiben offen.