Der Vortrag widmete sich der sinfonischen Musik der DDR, die nach wie vor kaum bekannt ist. Im ersten Teil des Vortrags wurde ein grober Überblick über die musikalische Entwicklung in der DDR bis Ende der 70er Jahre gegeben, bevor anhand einiger Musikbeispiele der Versuch unternommen wurde, sich zwei extreme Pole kompositorischer Praxis – eine politisch konforme und eine mehr oder weniger oppositionelle – hörend zu vergegenwärtigen.
Da die Musikgeschichte der DDR stark von politischen Ereignissen beeinflusst ist, lassen sich einige Zäsuren klar bestimmen. Die erste bildet das Jahr 1948, in dem Paul Dessau und Hanns Eisler aus dem amerikanischen Exil zurückkehrten und als Kompositionslehrer zu Leitfiguren jener Generation wurden, die ausschließlich von der DDR geprägt war. In einem von Eisler mit entworfenen Manifest wurden die wesentlichen Forderungen des Sozialistischen Realismus sowjetischer Provenienz wiederholt. Die Überwindung der als formalistisch gebrandmarkten neuen Musik sollte vor allem durch vokale Formen erreicht werden, durch Vertonungen von Texten, in denen „die großen neuen fortschrittlichen Ideen und Empfindungen“ zum Ausdruck kamen.
Die totale Abschottung durch den Mauerbau 1961 sorgte im Hinblick auf die als dekadent verschrieene Moderne für eine gewisse kulturpolitische Entspannung, da die Machthaber einer Beschäftigung mit der westlichen Kultur seitens der Kulturschaffenden der DDR gelassener entgegen blickten. Somit kam es in den 60er Jahren zu einem wenn auch zögerlichen internen Nachholprozess in Richtung der klassischen Moderne (Zweite Wiener Schule) und zu einer Aneignung der gegenwärtigen Moderne (Serielle Musik). Die Ergebnisse der nun stattfindenden internen Diskussionen bezüglich der Zweiten Wiener Schule führten etwa zu dem Ergebnis, dass die Komponisten als Personen der Zweiten Wiener Schule und der seriellen Musik in dem Maße akzeptiert wurden, wie ihre Musik soziale Thematiken aufgriff. Bei der Beurteilung zeitgenössischer Komponisten des Westens mischten sich auf merkwürdige Weise Argumente der politischen Gesinnung mit solchen der Kompositionspraxis, die es im Einzelfall abzuwägen galt. Grundsätzlich war die Gesinnung eines Komponisten wichtiger als der Grad der Avanciertheit seiner Musik.
Die Lockerung der kulturpolitischen Verhältnisse in den 60er Jahren machte sich auch in der veränderten Gewichtung von vokaler und instrumentaler Musik bemerkbar. Es gab zum einen eine auffällige Flut an Sinfonien, zum anderen einen geringeren Anteil an Kammermusik, bei der es ansatzweise so etwas wie Narrenfreiheit gab. Durch Sinfonien hatten die Komponisten die größte Chance, aufgeführt zu werden. Gleichzeitig konnte in den Tiefenschichten der Partitur versteckt Kritik am System geübt werden.
Mitte der 60er Jahre lässt sich eine weitere Zäsur setzen. Die jüngere und reifer gewordene Generation (Goldmann, Katzer, Bredemeyer usw.) emanzipierte sich von der Frage, ob man staatstreue Musik schreiben solle oder nicht, und vom Konzept einer angewandten und dienenden Musik. Der Musikwissenschaftler Frank Schneider spricht daher vom Beginn einer musikalischen Moderne im Osten ab 1965.
Ein ebenso signifikantes Datum wie der Mauerbau 1961 war 1971 der Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker. Mit der Ablösung verbanden sich für die Menschen Hoffnungen, zumal die neue Wirtschafts- und Sozialpolitik in den ersten Jahren spürbar positive Auswirkungen gezeigt hatte. Die deutsche Teilung wurde auf beiden Seiten der Mauer inzwischen als Normalität wahrgenommen; man hat sich auf jeden Fall soweit damit abgefunden, dass hüben wie drüben versucht wurde, unter Respektierung der verschiedenen Einflusssphären ein stabiles Verhältnis aufzubauen. In der DDR war man sich inzwischen des eigenen Staatsgebildes so weit sicher, dass bestimmte ästhetische Überlegungen geduldet wurden, die zuvor abgewertet und abgestraft worden wären.
Ein weiterer Einschnitt war das Jahr 1979, als der zur Institution gewordene Dessau starb. Die jüngeren Komponisten verehrten ihn als Lehrer und Mentor bis zu seinem Tod wie keinen zweiten. Dennoch haben sie sich von seinen Idealen abgewandt, da die Musik für sie nicht mehr dem Sozialismus zu dienen hatte. Kaum ein plakativ sozialistischer Text wurde mehr vertont. Man löste sich von dem mechanischen Funktionsdenken und entdeckte die Emanzipation der Instrumentalmusik, mit der sich subtil in einer Unterschicht der Partitur Dinge sagen ließen, die im öffentlichen Diskurs noch immer nicht möglich gewesen wären. Um kein falsches Bild zu zeichnen: Es handelte sich hierbei um ein kleines mäßig mächtiges Häuflein, dem immer noch eine Masse von Komponierenden entgegenstand, für die sich nichts geändert hatte.
Im zweiten Teil des Vortrags wurden diesen beiden ungleichen Gruppen durch Musikbeispiele portraitiert.