Ludwig Freiherr (von) Vincke (1774-1844), ab 1815 Oberpräsident der Provinz Westfalen, führte, beginnend in seiner Schulzeit, bis zu seinem Tode Tagebuch. Ein besonderes Licht auf seine ersten Berufsjahre und sein Privatleben als junger Mann werfen dabei die Tagebücher von 1799/1800, die Vinckes Zeit als Landrat in seiner Heimatstadt Minden dokumentieren. In ihnen finden sich sowohl Informationen über seine vielfältigen Aufgaben als Landrat als auch Eintragungen über höchst persönliche Dinge.
Nicht nur sein zuweilen recht schwieriges Verhältnis zu seinem Vater kommt zum Ausdruck, sondern auch der Verlauf einer Liebesbeziehung wird bis ins Detail beschrieben. Da der aus alter Adelsfamilie stammende Vincke sich in eine junge bürgerliche Frau verliebt, ist der unglückliche Ausgang der Liebesgeschichte vorauszusehen.
Die Eintragungen im Tagebuch – einem privaten Tagebuch – scheinen zunächst höchst persönlicher Natur zu sein. Bei genauer Lektüre fällt jedoch auf, dass Vinckes Schilderung seiner Liebe in nicht geringem Maße mit seiner literarischen Lektüre – sentimentale Romane und viel Jean Paul – korrespondiert. Die eigene Liebe wird an literarischen Vorbildern gemessen.
Zudem sind seine Tagebucheintragungen gar nicht so privat wie zunächst angenommen, da Vincke sie in ausgedehntem Briefwechsel mit Freunden und Familienmitgliedern öffentlich macht – und dabei auch deren Rückantworten, Ratschläge und Bedenken in seine Liebesgeschichte mit einfließen.
Im Verlauf der Tagebuchlektüre baut sich für den Leser ein Liebesroman auf, der mit allen Hoffnungen, Rückschlägen und schließlich aufopferndem Entsagen ganz ähnlich in der Romanliteratur des späten 18. Jahrhunderts zu finden ist. Bei allem tatsächlichen Lieben und Leiden inszeniert und konstruiert Vincke seine eigene Liebesgeschichte für sich und andere ganz nach literarischem Muster – eine Vorgehensweise, die in gebildeten – vor allem bürgerlichen – Kreisen durchaus nicht unüblich war.