Im Zentrum des Vortrags stand die Pfingstmotette Veni, Sancte Spiritus von Josquin, dem wohl bedeutendsten Vertreter der sogenannten „franko-flämischen Vokalpolyphonie“. Zu Beginn des Vortrags wurden die Implikationen dieses Begriffs erläutert. Er verweist auf einen regionalen Schwerpunkt der Renaissancemusik, auf einen gattungsspezifischen Schwerpunkt und auf eine kompositionstechnische Besonderheit. In einem zweiten Schritt wurden zur groben Orientierung einige biographische Eckdaten zum Leben Josquins genannt, die seine Sonderstellung schon zu Lebzeiten dokumentieren.
In der Analyse der Motette – dem Kernstück des Vortrags – ergab sich der Befund, dass diese Motette nach der von Tinctoris entworfenen Hierarchie zwar dem „cantus mediocrus“ zuzuordnen ist, gleichwohl aber Josquins polyphone Kunst zur höchsten Entfaltung kommt. Die 6-stimmige Motette besteht aus einem Doppelkanon, wobei der eine Kanon den Gregorianischen Choral zur Grundlage hat. Ein besonderes Augenmerk wurde auf die Frage gelegt, nach welchen Prinzipien Josquin die beiden „Füllstimmen“ behandelt: Es konnte gezeigt werden, dass er in diesem Fall einer ausgeklügelten Dramaturgie der Klangverdichtung folgt. An einzelnen markanten Stellen zeigte sich außerdem, wie genau Josquin den zu vertonenden Text musikalisch umsetzt.