Musikbezogener Teil der zusammen mit Friedrich Uehlein gegebenen Einführung.
Die Komposition Pulse Shadows – Meditations on Paul Celan besteht aus insgesamt achtzehn Einzelstücken: aus neun Vertonungen Celanscher Gedichte und aus neun Streichquartett-Sätzen. Diese Stücke sind in den Jahren 1989 bis 1996 aus unterschiedlichen Anlässen ent- standen und von Birtwistle 1996 zu einem Zyklus zusammengefügt worden.
Die Einführung in das Werk erfolgte exemplarisch an drei Gedichtvertonungen und zwei Instrumentalsätzen dieses Zyklus.
Die Beschäftigung mit der Musik der Pulse Shadows ging aus von der Vertonung des Gedichts White and Light, mit dem auch die Beschäftigung Birtwistles mit der Dichtkunst Paul Celans im Jahr 1989 begonnen hat. Celans Dichtung, deren biographische Hintergründe Birtwistle damals noch nicht bekannt waren, schien ihm „to be groping for words and for meaning“. Dieser Eindruck ließ sich auf die Komposition seines ersten Celan-Gedichts rückbeziehen: Unruhe des Suchens und zur Ruhe Kommen schienen uns die beiden wichtigsten Pole der Ausdrucksentwicklung in diesem Stück zu sein, darstellbar zunächst an der Bratschenstimme, der strukturellen Mittelachse und dem „Nervenzentrum“ des Ganzen. Von hier aus ließ sich dann auch in das noch subtilere Beziehungsgeflecht der Singstimme hineinhören.
Die Analyse des zweiten Hörbeispiels, der Vertonung des Gedichts With Letter and Clock, versuchte die Klangphänomene unter dem Begriffspaar von „Bestimmtheit“ und „Unbestimmtheit“ zu ordnen. Das galt für die Verlaufsform des Stückes genauso wie für seine vertikale Struktur: Das schwer durchzuhörende Stimmengeflecht von drei Strophen wird hier von der geradezu theatralischen Deutlichkeit eines Refrains abgelöst, und innerhalb der Strophen, in denen die Stimmen mit je eigener metrischer Ordnung und mit nach oben hin zunehmender melodisch-rhythmischer Differenzierung wie in einer Ars Nova-Motette übereinander liegen, sorgen starre Tonrepetitionen (eine Variante der „Pulse“, die im ganzen Werk präsent sind) für einen permanenten Binnenkontrast, nicht zuletzt mit ihrer semantischen Bestimmtheit als Klangsymbole für „Uhr“ bzw. „Zeit“.
Ein Vorspiel der behandelten Gesangsstücke zusammen mit den ihnen in Pulse Shadows vorangehenden Streichquartettsätzen demonstrierte zu Beginn des zweiten Termins den für das Werk charakteristischen Wechsel von Gedichtvertonungen und Instrumentalstücken. Die beiden Streichquartettsätze repräsentierten zugleich die zwei unterschiedlichen instrumentalen Formtypen Fantasia und Frieze, die Birtwistle dabei einsetzt: Die Fantasia genannten Sätze sind exzentrische Gebilde, in denen gegensätzliche musikalische Gestalten mit einander konfrontiert werden, während die musikalischen „Friese“ eine Reihung von Klangformen bieten, die durch Ähnlichkeitsbeziehung mit einander verbunden sind.
Die letzte Analyse betraf die Vertonung des Gedichts Night: Im ersten Teil dieses (dreiteiligen) Stücks bekommt ein melodischer Abwärtsschritt mit charakteristischer Intervallspannung, die kleine None c‘‘ – h, thematische Bedeutung, eine Entwicklung, an der die unmittelbare Sprachvertonung in der Singstimme zunächst keinen Anteil hat. Nach einem kontrastierenden Mittelstück, einem in mechanisch wirkender Bewegung ablaufenden, athematischen Abschnitt, kehrt die Thematik des Anfangs wieder und verbindet sich nun überraschend und sinnerschließend mit dem Text: Das Intervall c‘‘ - h, in dem die beiden Töne durch Leittonspannung in besonderer Weise aufeinander bezogen sind, trägt vom Schluss der vorletzten Strophe an (conceivable: / up there, in the cosmic network of rails, / like stars, / the red of two mouths.) die Vertonung ganz. Der Komponist hält im musikalischen Symbol einen kommunikativen Akt fest, der im Gedichttext nur angedeutet und in abstrakte Fernen gerückt ist, bis er zuletzt – sich rückbeziehend auf den Gedichtanfang – in ein punktuelles Ereignis der unbelebten Natur transponiert wird (Audible (before dawn?): a stone / that made the other its target). Die Formulierung dieses letzten Verses mag den Komponisten dazu angeregt haben, seiner Vertonung einen thematischen Kern in Gestalt eines Intervalls zu geben, in dem zwei Töne sich gegenseitig „ein Ziel“ sind.