In meinem Vortrag an Pfingsten 2009 ging es um die Interpretation eines einfachen Satzes des Glaubensbekenntnisses: Wiederkunft Jesu Christi zum Gericht über Lebende und Tote. Nach der Einleitung wurden die drei Dimensionen vorgestellt, die in der Eschatologie als der Lehre von den Letzten Dingen bearbeitet werden: Die Eschato-Ästhetik, Eschato-Logik und Eschato-Praxie. Die Eschato-Logik bemüht sich z.B. um die Sprache des Eschatologischen, indem sie einerseits der via eminentiae folgt, die eine unabschließbare Steigerungsform eröffnet und ihr die via negationis kontrapunktisch zur Seite stellt. Neuerdings wird die Bewusstmachung der Metaphorik eschatologischer Sprache von größerer Bedeutung. Der Umgang mit Bildern der Kunstgeschichte und die Übertragungsformen der Metaphorik finden ihren vornehmen Platz im Bereich der Eschato-Ästhetik. Insgesamt setzt die Eschato-Ästhetik bei den faszinierenden Phänomenen der Sprache, der Musik und überhaupt aller künstlerischen Ausdrucksformen an, die in die christliche Tradition Eingang gefunden haben und einen schier unerschöpflichen Schatz darstellen, der das Herz weitet und die Vernunft aufschließt. Durch die dritte Dimension des Eschatologischen, die Eschato-Ethik oder Eschato-Praxie, soll es gelingen, den lauernden Relativismus der eschatologischen Bildersprache zu vermeiden. Hier wird Mt 25, 31ff. zum Paradigma. Matthäus entwirft eine abschließende Gerichtsszene, die in der regula fidei des Taufbekenntnisses der frühen Kirche in geradezu nüchterner Sprache in einem einfachen Teil-Satz zusammengefasst wird: Et inde venturus est iudicare vivos et mortuos. (Apostolicum) Et iterum venturus est cum gloria iudicare vivos et mortuos, cius regni non erit finis. (Großes Glaubensbekenntnis)
Die Stelle Mt 25,31-46 wird (mit Verweis auf Jes 58) einer Exegese mit Bezug auf Ulrich Luz und Hubert Frankemölle unterzogen. Am umstrittensten ist die Frage, wer die „Geringsten der Brüder und Schwestern" sind, denen Gutes getan bzw. Gutes verweigert wird. Ulrich Luz vertritt die These, der ursprüngliche Sinn bei Matthäus beziehe sich auf die Gemeinde, tritt aber dennoch für eine universale Interpretation des Textes ein. Frankemölle plädiert grundsätzlich für eine universale Deutung. Alle Menschen sollen durch die Gerichtsrede zu einem solidarischen Handeln bewegt werden. Die folgenden systematischen Überlegungen bauen darauf auf. Die Begegnung mit dem Nächsten, dem nicht ausgesuchten Menschen in Not wird hier zur eschato-ethischen Grundsituation. Es ergeht ein nicht mehr in Worte fassbarer Ruf an das Subjekt, den es beantworten soll, ohne zu wissen, ob es sich letztlich lohnt, sich mit der eigenen Habe und Existenz dem Anderen zu exponieren. Es ist bezeichnend, dass Matthäus aus der konkreten Situation keinen Moralismus macht. Ja, die Spontaneität des Eingreifens zugunsten des Menschen in Not erscheint wie ein Wunder. Die eschato-ethische Situation ist so sehr Urereignis der Begegnung mit dem Nächsten in Not, dass mir sogar die Beurteilung dessen, was ich getan bzw. nicht getan habe, entzogen wird. Es geht um die Ur-Teilung zwischen Guten und Bösen. Johann Baptist Metz schreibt: „Jene die Apokalyptik zutiefst bewegenden Fragen – Wem gehört die Welt? Wem ihre Leiden? Wem ihre Zeit? – scheinen nirgendwo so erfolgreich stillgelegt wie innerhalb der Theologie selbst." (157)
Wie ist der Glaubensartikel „Von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten" näherhin auszulegen? Rahner zufolge sind individuale und universale Eschatologie nur als die Vorder- und Rückseite ein und derselben Medaille zu lesen. Hat dann aber der Gerichtsgedanke noch einen Platz? Die traditionelle Eschatologie lehrt über die Wiederkunft Jesu Christi glaubensverbindlich: „Am Ende der Welt wird Christus in Herrlichkeit wiederkommen zum Gericht." Als Zeugnisse dienen das Apostolikum und das Große Glaubensbekenntnis, die ich oben bereits zitiert habe. Über das Jüngste Gericht gibt es in der traditionellen Eschatologie nur eine einzige Aussage: „Christus wird nach seiner Wiederkunft alle Menschen richten." Die Ankunft des Wiederkommenden hat das Gericht über die gesamte Menschheit zur Folge. Versteht man die Gerichtsperikope nach Mt 25,31-46 als Inbegriff einer Eschato-Praxie, dann bestätigt sich, dass im Letzten Gericht offenbar wird, wie sehr sich der Mensch durch sein Verhalten zum Nächsten in Not schon selbst – positiv oder negativ – gerichtet hat. Der Wiederkommende bestätigt das Geschehene und stellt es vor das Forum der gesamten Menschheit. Die matthäische Gerichtsperikope, als hypothetische Warnung verstanden, bewahrt davor, die „Rede von Gott als Richter" zu verdrängen oder gar als gefährlich zu verdächtigen. Manche zeitgenössischen religiösen Strömungen versuchen, die Barmherzigkeit des „lieben Gottes" gegen die Gerechtigkeit des „gebietenden Gottes" auszuspielen.
Die Glaubensaussagen implizieren neben dem Gerichtsgedanken auch bestimmte Raum- und Zeitvorstellungen. Weltbildbedingtes Raumgefüge von Himmel, Erde und Unterwelt und synthetisierendes Zeitverständnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft greifen ineinander. Der Wiederkommende ist der Gekreuzigte, der das letzte Urteil verkündet. Die Verfinsterung der Sonne und die herabfallenden Sterne haben nichts mit jenen Prozessen zu tun, von denen die Astrophysik spricht, wenn sie das Sterben ganzer Milchstraßensysteme prognostiziert und dabei voraussetzt, dass in jeder Sekunde 30 000 neue Sterne geboren werden. Die Hoffnung auf die Parusie erweist sich über alle Astrophysik hinaus als „Deutung der Liturgie und des christlichen Lebens in ihrem inneren Zusammenhang und in ihrer steten Selbstüberschreitung" (Ratzinger). Wer zu glauben wagt, dass die Selbsthingabe Jesu bis zum Äußersten der Schlüssel zum endgültigen Sieg des Guten ist, wird den Gedanken des Endgerichts als In-begriff aller Durchbrüche verstehen, die durch die radikale Liebe möglich sind. Das Letzte Gericht ist dafür die entscheidende Metapher. Die Liebe, die stark ist wie der Tod (vgl. Hld 8,6), wird zum Einbruch in die Zeit schon vor allem Ende und wird zugleich als das absolut Unverfügbare im Endgericht offenbar.
Der Apostel Paulus hat noch eine Reihe anderer Aspekte der Eschatologie angesprochen. Vgl. 1 Kor 15,51: „Seht, ich enthülle euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, aber wir werden alle verwandelt werden." Nach 1 Kor 15,44 wird auferweckt ein „geisterfüllter Leib" (sōma pneumatikón), der alles andere ist als die Wiederbelebung eines inzwischen verwesten Leichnams. Es geht vielleicht um eine „Metamorphose", von der Paulus in 2 Kor 3,18 spricht. Von Paulus her habe ich den Titel Mysterium der Verwandlung (Paderborn u.a. 2005) für meine Eschatologie gewählt, in der viele Einzelheiten über das persönliche Gericht, über die Lehre vom Zwischenzustand, über Himmel und Hölle nachlesbar sind, über die ich ebenfalls gesprochen habe.