Zu Beginn seiner Vita Plotini berichtet Porphyrios, Plotin habe das Ansinnen seines Schülers Amelius, er möge einem Maler sitzen, damit dieser ein Porträt von ihm anfertigen könne, mit der Begründung zurückgewiesen, er wolle nicht, dass ein Abbild des Abbildes (eidolon eidolou), als sei dies etwas Sehenswertes, von ihm zurückbleibe. Er stellte sich damit in die Tradition einer Abwertung von Kunst, die auf Platons Ausschluss einer nur die äußere Erscheinung eines Gegenstandes nachahmenden Kunst aus seinem Staat im 10. Buch der »Politeia« zurückgeht. Wenn der Gegenstand schon Nachahmung einer Idee als des eigentlich Wirklichen ist, dann ist dessen Bild, als illusionistische Reproduktion seines Aussehens, das dritte nach der Wahrheit, das jedoch den Betrachter, der es bewundert, an die Dimension des Sinnlichen fesselt. Ganz in diesem Sinne sagt auch Plotin (Enneade IV 3,10,16 ff; vgl. auch V 8,1,35; V 9,11,1-6), äußerlich mimetische Kunst bringe »nur schwache, trübe Nachbilder hervor, Possen ohne viel Wert«, und müsse »viele Hilfsmittel verwenden, um ihre Schattenbilder (eidola) hervorzubringen«. Diese Zurückweisung ist aber weder Platons (vgl. etwa Politeia 501 ab) noch Plotins einziges und letztes Wort zur Kunst. Kunst ist für Plotin (hier übernimmt er die aristotelische Formel) durchaus »Nachahmung der Natur«, allerdings nicht ihrer Produkte, sondern ihrer Produktion; denn die Naturdinge sind nichts anderes als von der Seele – dem der Natur innewohnenden Lebensprinzip – in unbewusster Betrachtung in die Materie gleichsam hineingesehene, sie formierende Ideen. In gleicher Weise steigen auch die Künste, wenn sie etwas darstellen, »hinauf zu den rationalen Formen (logoi), aus denen die Natur komm« (V 8,1,35). Und wenn sie schon gesehene Dinge darstellen, dann orientieren sie sich gleichwohl an deren Idee und an der Idee der Schönheit, indem sie dem Dargestellten da etwas hinzufügen, falls es ihm mangelt, oder dort etwas wegnehmen, falls es die Klarheit der Gestalt behindert.
Was Platon und Plotin über Bilder der Kunst dachten, ist eingebettet in ein Wirklichkeitsverständnis, für das Bildlichkeit geradezu konstitutiv ist. Sie verstehen nämlich die sichtbare Welt als ein Abbild der unsichtbaren intelligiblen Welt. Und bei Plotin ist diese intelligible Welt nochmals in sich nach dem Verhältnis von Urbild und Abbild abgestuft. Das höchste Prinzip ist das Eine, dessen aus ihm hervorgeganges Abbild der Geist (als Einheit der Ideen) ist, der wiederum als Urbild fungiert für die aus seinem Sein hervortretende, ihn abbildende Seele (WeltSeele und Einzelseele), die zwar zum Geist aufblickt, aber mit ihrer zum Geringeren gehenden Tendenz schließlich aus einem Unbestimmten und Konfusen, der Materie, diese nach den Ideen formierend, eine andere Existenz hervorbringt (V 2,1,27): die sinnenfällige Welt. Als durch Einheit zur Einheit des Mannigfaltigen gefügter Kosmos ist die sinnenfällige Welt Bild des intelligiblen Kosmos und, vermittelt durch ihn, auch noch Bild des Einen, des bildlosen Ur-Bildes.
Zweierlei Missverständnissen war im Vortrag entgegenzutreten. Die Rede von einem Ur-Bild kann dazu veranlassen, sich dieses tatsächlich wie ein Bild oder einen Anblick, den ein anschaubarer Gegenstand bietet, vorzustellen. Ebensowenig ist eine Idee so etwas wie ein allgemeiner Typ von vielen Gegenständen wie etwa ein typisches Haus. Sie ist vielmehr eine bestimmende und wirkmächtige Form, wodurch geeignete Materien so miteinander verbunden werden, dass sie eine bestimmte Funktion erfüllen, wie z.B. die, vor Wind und Wetter Schutz zu bieten. Diese Funktion ist nur denkend zu erfassen.
Das zweite Missverständnis kann davon kommen, dass man sich die Wirklichkeitsstufen bei Plotin wie eine Pyramide vorstellt mit dem Einen wie einem Punkt an der Spitze, die dann über den Geist und die Seele bis zur sinnenfälligen Welt immer breiter wird und mit der Zunahme an Breite eine Zunahme an Wirklichkeit unterstellt. Genau das Gegenteil von letzterem ist aber der Fall. Die höchste und mächtigste Verdichtung von Wirklichkeit ist gerade in diesem über alle differente Wirklichkeit erhabenen Punkt anzusetzen, aus dem alles hervorgeht. Der Punkt ist – unvollziehbare Vorstellung – zugleich das Umgreifende. Und dass der Geist wirklicher ist als die sichtbare Welt, wird allein schon dadurch einleuchtend, dass er der Ort aller bestimmenden Formen ist, die die sichtbare Welt zu einer gestalthaften, verstehbaren und in sich geordneten Welt machen. Ohne ihn würde alles in ein dunkles, unbestimmtes Chaos zurücksinken.
Im Zusammenhang des Plotinschen Wirklichkeitskonzepts kann Kunst nur Sinn haben, wenn sie ihre Bilder wie die Natur im Rückgriff auf Ideen produziert. Zwar bringt sie dabei nicht wie die Natur etwas Lebendiges hervor, aber sie vermag, reflektierter als die Natur, die Ideebestimmtheit des Dargestellten als solche hervortreten zu lassen und die über den Ideen »thronende Schönheit« in größerer Reinheit zur Anschauung zu bringen. Sie ist auf der Seite des Produzierenden bereits Ausdruck der Rückkehr der Seele zu ihrem Ursprung und Ziel und sie weckt andererseits im Betrachter den Eros, den Weg des Aufstiegs dorthin anzutreten.
Die Bestimmung der Kunst bei Plotin ist insofern formal, als sie nichts über Inhalte präjudiziert; jeder ist möglich, wenn er nur den aufgewiesenen Bedingungen genügt. Aber Plotin dürfte besonders solche Inhalte bevorzugt haben, die eben jenes, worauf die Kunst zurückführen soll, nämlich den intelligiblen Bereich und die Rückkehr der Seele selbst dorthin zum Thema haben. Kann es davon überhaupt Bilder geben? Es können die Bilder der Mythologie sein, die Plotin durch die Methode der Allegorese so auslegt, dass sie als symbolische Vorstellungen dessen erscheinen, was sich ihm auf dem Weg der philosophischen Reflexion erschlossen hat. Es können aber auch Metaphern sein (Quelle, Sonne, Licht, Wurzel, Feuer, Mittelpunkt und Kreis u.a.), in die sein Denken an der Grenze des begrifflich Fassbaren umschlägt. Als Mittel der Darstellung empfehlen sich Materialien (reine Farben, edle Metalle, Edelsteine u.a.), die schon von sich aus Symbole des intelligiblen Lichts der Schönheit sind. Mit seinem Konzept von Kunst hat Plotin, mehrfach vermittelt (z.B. über Ps.-Dionysios Areopagites) und modifiziert, über Jahrhunderte hin prägend gewirkt bis in die Zeit der Renaissance.