Der gemeinsame Vortrag suchte die Thesen des Münsteraner Philosophen Kurt Bayertz in seiner Monographie »Warum überhaupt moralisch sein« (2004) mit szenischen Elementen und Power-Point-Folien lebendig darzustellen und zu aktualisieren.
Zur Erläuterung der Titelfrage wurde nicht auf das im Buch vorgestellte Gedankenexperiment zurückgegriffen, sondern auf aktuelle Fälle von Jugendgewalt in Berlin. Dabei ging es nicht um Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsversuche des Handelns mit der Frage nach moralischen Maßstäben, sondern – einen Minimalkonsens über grundlegende Normen des zwischenmenschlichen Zusammenlebens vorausgesetzt – um Gründe dafür, das als moralisch richtig Erkannte auch in die Tat umzusetzen. Es ging um die Frage, wie man einen Amoralisten zur Aufgabe seiner letztlich nur an den eigenen Interessen orientierten Position bewegen kann.
Die 1. Antwort, es sei göttlicher Wille, enthält nur für denjenigen hinreichende Motivationskraft, der auch an Gott glaubt. Auch die 2. Antwort, die von der empirischen oder auch metaphysischen Realität der Moral ausgeht, greift zu kurz. Der Amoralist vermag sich mit Verweis auf seine Willensfreiheit von moralischen »Tatsachen« frei zu machen. Selbst wenn die Forderung nach moralischem Handeln von den anderen mit Verweis auf die wechselseitige Nützlichkeit und Schadensvermeidung gestellt wird – so die 3. Antwort –, kann sich der Amoralist entziehen, und zwar weil er das zugrunde liegende Wohlwollen anderen gegenüber nicht aufzubringen bereit ist.
Hier ist ein Perspektivwechsel nötig: Mehr Motivationskraft zu moralischem Handeln verspricht die Aussicht, sie nützte – 4. Antwort – auch dem eigenen Interesse. Dies untermauerten neben dem von Bayertz erwähnten Experiment zum Gefangenendilemma auch neuere spieltheoretische Experimente. Das Schlupfloch aus diesem zunächst überzeugenden Argument ist für den Amoralisten nur der Hinweis, er könne die Vorteile des allgemein verbreiteten moralischen Systems auch genießen, wenn er nur gelegentlich moralisch handele und ansonsten die Vorzüge als Trittbrettfahrer nutze. An dieser Stelle wird nicht dem Amoralisten, sondern der Position widersprochen: Ein System egoistische Nutzenmehrung sei keine Moral. Moralisches Handeln im eigentlichen Sinne habe den Vorzug – 5. Antwort – glücklich zu machen. Es trage zur inneren Harmonie bei, dies entspreche den Theorien des gelingenden Lebens in der Antike. Weil die damit verbundenen Voraussetzungen für die Moderne nicht mehr gälten, könne glaubhafter darauf verwiesen werden – 6. Antwort -, dass moralisches Handeln der Natur des Menschen entspreche. Gerade für natürliches Mitgefühl und Gerechtigkeitsempfinden gebe es eine Reihe neuerer spieltheoretischer Experimente, vor allem aus den Wirtschaftswissenschaften. Solche Vorstellungen taugten aber nur für eine Partikularmoral, die sich nicht ohne weiteres zu einem System universal geltender Prinzipien erweitern lasse. Man müsse daher – 7. Antwort – die Vernunftnatur des Menschen im Sinne Kants zur Geltung bringen. »Du sollst moralisch sein, weil Du es als vernünftiges Wesen selbst willst.« Und wenn der Amoralist dann immer noch nicht will, wenn er also auf die eigene Vernunft »nicht hören will«, dann – 8. Antwort –, muss er eben »fühlen«, dann muss er mit Sanktionen rechnen. Dagegen könnte sich der Amoraist nur wehren, wenn er mit Gründen auf Prinzipien der Moral im engeren Sinne verweist. Damit würde er aber Vernunft und Moral beanspruchen, die er doch sonst zurückweist.
Die Vorstellung, ein Amoralist könne mit Verweis auf einen solchen performativen Selbstwiderspruch »zur Vernunft« gebracht werden, dürfte – so das Fazit – kaum der gesellschaftlichen Wirklichkeit entsprechen. Wenn alles Vernünftige nicht hilft, bleiben am Ende eben nur Sanktionen. Diese können der Vernunft bestenfalls auf die Sprünge helfen - sie können es, sie müssen es aber nicht.