Die Felder, durch deren Beziehung aufeinander im Platonismus der Spätantike Bilder strittig werden, waren schon durch Platon abgesteckt. Das erste Feld ist das der Ablehnung von Bildern, die illusionistisch nur das Aussehen von Gegenständen reproduzieren. Weil sie den Betrachter, der sie bewundert, an das Sinnenfällige und Affektive fesseln, hat Platon (Rep. X, 595a-598d) sie aus seinem Modell-Staat verbannt. Das zweite Feld ist das der Legitimität von Bildern, in denen die intelligiblen Gründe und Ursachen aller Wirklichkeit, d.h. Ideen zur Anschauung kommen (vgl. Rep. 500e3-501c3). In der Amplitude zwischen der Kritik des Bildes, das Sichtbares reproduziert, und dem Anspruch des Bildes, Nicht-Sichtbares zur Darstellung zu bringen, bewegt sich seither die Debatte darüber, was Kunst leisten kann oder soll. Das dritte Feld ist das der Möglichkeit und Funktion von Götterbildern. Mit großer Selbstverständlichkeit spricht Platon von der Verehrung der Götter in »Bildern« (eikones), »indem wir ihnen Statuen (agalmata) errichten (weihen)« (Leg. 931a1f.).
Beim Begründer des spätantiken Platonismus, Plotin (geb. 204/5, Geburtsort unbekannt, gest. 270 n. Ch. auf einem Landgut in Kampanien) dominieren die ersten beiden Felder. Bilder, die äußere Erscheinungen »nachahmen“, sind »Possen ohne viel Wert« (Enn. IV 3,10,16 ff.). Kunst ist zwar »Nachahmung der Natur« (Aristoteles), aber nicht ihrer Produkte, sondern ihrer Produktion, welche Ideen ins Materiell-Sinnenfällige umsetzt. Götterbilder als Gegenstände kultischer Verehrung sind bei Plotin kein nennenswertes Thema, weil der wahre Gottesdienst der innere, philosophisch-mystische Weg des Aufstiegs der Seele zum absoluten Einen ist. Von der Zeus-Statue des Phidias ist nicht im religiösen, sondern im Kunstzusammenhang die Rede (V 8,1,38-40). Obwohl Plotin das nicht eigens sagt, können von ihm her die Götter der Mythen Darstellungsinhalte der Kunst werden, weil er die Mythen als Allegorien der von ihm erkannten metaphysischen Dimensionen der Wirklichkeit (das Eine, der Geist, die Seele und die von ihr hervorgebrachte sinnenfällige Welt) versteht. (Vgl. mein Vortrag auf der Tagung 2004)
Es ist unübersehbar, dass sich bei den nachplotinischen Neuplatonikern Porphyrios, Jamblich und Proklos – nur auf sie wurde im Vortrag eingegangen – unter dem Einfluss der im 2. Jh. n. Chr. entstandenen »Chaldäischen Orakel« (an der Spitze einer Hierarchie von Göttern steht eine triadische Gottheit: ein Vater, aus dem Macht und Geist hervorgehen) sowohl eine vielschichtig hierarchische Ausdifferenzierung des plotinischen Systems als auch eine Verschiebung des Interesses vom Bild der Kunst zum Götterbild (agalma), und das heißt bezüglich der Theorie: von der Ästhetik (modern verstanden) zur Religionsphilosophie vollzieht. Die »Chaldäischen Orakel« eröffnen mit ihrem praktischen Teile, der »Theurgie«, neben der Philosophie einen kultischen Weg der Befreiung der Seele vom Irdischen und der Vereinigung mit dem Göttlichen. Dabei spielen (neben Opfern) Götterbilder eine besondere Rolle, insofern sie nicht so sehr mit der Darstellung auf einen Gott verweisen als vielmehr durch ihre Materien, aus denen sie bestehen, bei entsprechender Weihung den Gott gegenwärtig machen. Sie vermögen dies, weil die Materien von den theurgischen Priestern auf Grund ihres besonderen Wissens so ausgewählt, aus ihrem natürlichen Verbund herauspräpariert und schließlich zusammengesetzt wurden, dass sie dem Gott, der für sie zuständig ist, sympathisch und deswegen einladend sind, sich in ihnen niederzulassen. Solche Götterbilder können anikonisch sein.
Einen deutlichen Reflex dieser Vorstellung finden wir in einer Schrift (De philosophia ex oraculis haurienda) des Porphyrios (geb. ca. 233 in Tyros, gest. ca. 305 in Rom), die er wohl noch vor der Zeit seiner Schülerschaft bei Plotin verfasst hat. Auf eine ganz andere Auffassung treffen wir in Porphyrs Schrift »Über Götterbilder« (Peri agalmaton), die die Möglichkeit von figürlichen, mit allerlei Emblemen ausgestatteten Götterdarstellungen zum Thema hat und zahlreiche gängige Götterbilder in der Manier stoischer Allegorese entschlüsselt. Als wieder ein anderer Typus von Bild, ein religiöses Landschaftsbild, lässt sich Porphyrios Interpretation der Schilderung der »Grotte der Nymphen« in Homers Odysse (XIII 102-112) auffassen. Sie ist Allegorie des Schicksals der in die materielle Welt eintretenden, in sie verstrickten und schließlich aus ihr in die transzendente Welt der Ideen zurückkehrenden Seele. In seinem »Brief an Anebo«, einen fiktiven ägyptischen Priester, hat Porphyrios die mit der Theurgie möglicher Weise verbundenen magischen Vorstellungen und Praktiken (auch des kultischen Götterbildes) aufgedeckt und kritisiert.
Auf ihn antwortet sein Schüler Jamblich (geb. zwischen 240 und 245 in Chalkis, Nordsyrien, gest. vor 326 in Apamea) in der Schrift »Über die Geheimlehren der Ägypter« (De mysteriis). Er versucht darin Schritt für Schritt Porphyrs Bedenken auszuräumen. Die Möglichkeit des aus Materien zusammengesetzten und die Götter anlockenden Kultbildes ist philosophisch dann einsehbar, wenn man erkennt, dass die mit Porphyr begonnene und bis in die irdische Welt hinab durchzustufende Seinshierarchie Plotins in den Mythen nicht nur allegorisch vorgebildet, sondern tatsächlich nichts anderes ist als eine Hierarchie von Göttern und göttlichen Wesen. Also ist es möglich, noch im untersten Bereich des Wirklichen auf Spuren der Götter zu treffen. Wenn man diese Zeugnisse aufsammelt und zu Bildnissen zusammensetzt, sind sie einladend für die Götter. Die durch Weihung geschehende Gottesgegenwart in ihnen bedeutet nicht, dass die Götter in sie eingeschlossen, sondern vielmehr dass sie so um sie herum sind, wie das Licht Gegenstände erleuchtet. Niemals kann – übereinstimmend mit Plotin – das Niedrigere vom Höheren umfasst werden. Götterdarstellungen hingegen von der Art, wie sie Porphyrios in seiner Schrift »Über Götterstatuen« (Peri agalmaton) behandelt hatte, sind keine Kultbilder (agalmata), sondern Idole (eidola). Schon in einer früheren Schrift, die in polemischer Absicht den gleichen Titel (Peri agalmaton) trug wie die Porphyrs, hatte sich Jamblich mit der Frage des Kultbildes befasst. Er unterscheidet dort zwischen »von Menschhand gemachten« und »vom Himmel gefallenen Bildern« (diipetês), d.h. Bildern, die schon deswegen, weil sie göttlichen Ursprungs sind, als sakral zu gelten haben. Die Vorstellung von letzteren greift Jamblich aus älteren Traditionen auf und sie wird später, im christlichen Byzantinimus, dazu verhelfen, Bilder, die nicht von Menschenhand gemacht sind, die Acheiropoiten (acheiropoita), außerhalb der Reichweite des alttestamentlich-christlichen Bilderverbots anzusiedeln.
Mit seinem Buch »Die Mysterien der Ägypter« hat Jamblich eine nachhaltige Wirkung auf den späteren Neuplatonismus ausgeübt. Zunächst schon auf Kaiser Julian, den sogenannten »Abtrünnigen«, der in seiner kurzen Regierungszeit (361-363) auf der Grundlage der von Jamblich entwickelten Theologie den heidnischen Götterglauben wieder als Staatsreligion einzuführen versuchte, dann besonders auf Proklos (geb. 8.2.412 in Konstantinopel, gest. 17.4.485 in Athen), der mit seinen umfangreichen Platon-Kommentaren und der dialektisch strengen Ausarbeitung des Jamblichschen Systems zum Vollender des Neuplatonismus wurde. Proklos führt einerseits die vom »göttlichen Jamblich«, wie er ihn nannte, entwickelte Theologie des Kultbildes weiter (im fragmentarisch erhaltenen De sacrificio et magia und passim in seinem Werk), nimmt aber auch den Faden der Bildkritik Platons wieder auf, allerdings so, dass er sie stark zugunsten der möglichen Ideegegründetheit des Bildes zurücknimmt. Und das wiederum geschieht nicht in ästhetischem, sondern in religiösem Interesse (Vorrang des dritten platonischen Feldes in der Bilderfrage). Einerseits bestätigt Proklos die platonische Kritik an Kunst (Dichtung, Malerei), die nur die äußere Erscheinung von Ereignissen und Dingen reproduziert, andererseits verlagert er sie vom Kunstproduzenten auf den Rezipienten. Der jederzeit möglichen Fesselung ans Äußere verfällt nur, wer sich noch, wie die zukünftigen Wächter in Platons »Staat der Erziehung« (Gadamer), in einem vorphilosophischen Stadium seiner geistigen Entwicklung befindet, d.h. noch keinen Umgang mit Ideen hatte. Wer aber philosophisch gebildet ist, wird im Schein des Sinnenfälligen den Vorschein des Intelligiblen erkennen; er wird in der Lage sein, in Erwartung eines höheren Sinnes des Textes (insbesondere Homers) oder eines Bildes diesen bzw. dieses mit Hilfe der allegorischen Interpretation auf seinen theologischen Gehalt hin zu erschließen. Porphyrios hatte mit seiner Interpretation der »Grotte der Nymphen« darin schon exemplarische Vorarbeit geleistet. Durch Ps.-Dionysios Areopagites wurde das Denken des Proklos mit weitreichender Wirkung in die christliche Theologie integriert.