Eine Rückbesinnung auf die Situation der musikalischen Avantgarde vor 50 Jahren kann sich an kaum einem ihrer Protagonisten besser orientieren als an Bruno Maderna, der am kulturellen Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg als einer der führenden Komponisten, aber auch als einer der wichtigsten Dirigenten neuer Musik und nicht zuletzt auch als Freund und Berater anderer produktiver Musiker beteiligt war. Seit sein musikalischer Nachlass im Archiv der Paul Sacher Stiftung in Basel der Forschung zugänglich ist, gewinnt sein Werk für die musikwissenschaftliche Aufarbeitung dessen, was in diesen Jahren geschehen ist, neue Bedeutung.
Die biographischen Betrachtungen zu Maderna widmeten sich u.a. der frühen Dirigentenkarriere des Wunderkindes, den musikgeschichtlichen Studien des Malipiero-Schülers, seiner Rolle als Freund und Mentor von Luigi Nono und seiner folgenreichen Begegnung mit Hermann Scherchen. Vor allem aber musste vom Internationalen Musikinstitut Darmstadt und seinen berühmten Ferienkursen die Rede sein, den wichtigsten Institutionen des musikalischen Neubeginns nach dem Krieg. Insofern, als in Darmstadt das Neue aus gegenseitiger Anregung und Kritik und in ständiger Nähe zur musikalischen Praxis entstand, fand Bruno Maderna für seine vielfältigen musikalischen und kommunikativen Talente dort (wo er sich schließlich auch ganz niederließ) das ideale Betätigungsfeld.
Musikalisch vorgestellt wurde der Komponist zunächst mit der »Dialodia« für zwei Instrumente von 1971, dann mit der »Fantasia für zwei Klaviere«, dem ersten Stück von Maderna, das (1949) in Darmstadt erklang. Als Variationenwerk über das B.A.C.H ist dieses Stück Zeugnis einer für Maderna wie für die Entstehungszeit charakteristischen Rückbindung an die musikalische Tradition. Zugleich zeigt es kompositionstechnisch das Neue, z. B. die Tendenz zur getrennten konstruktiven Entwicklung der musikalischen Parameter (hier der Diasthematik und Rhythmik eines Fugenthemas), die erst die serielle Kompositionstechnik dann systematisch verfolgte.
Der zweite Termin des Referats war ganz Madernas Serenata Nr. 2 für 11 Instrumente gewidmet, die 1953 entstanden ist. An diesem Stück, bzw. an den zugehörigen Entwurfsschemata und Zahlentabellen, die sich im Nachlass des Komponisten gefunden haben, läßt sich die Kompositionstechnik Madernas in den Grundzügen anschaulich machen. Ihr Prinzip ist es, die musikalischen Daten einer Komposition durch permanente Variation eines gegebenen Grundschemas zu gewinnen. Für die Tonhöhenorganisation heißt das z.B., dass von den einzelnen Tönen einer gegebenen Reihe aus (die anders als in der orthodoxen Zwölftontechnik in der Komposition als solche gar nicht auftaucht) durch Anlegen einer Zahlenreihe berechnet wird, in welchen Abständen diese Töne in der Komposition wiederkehren sollen. Eine musikalische Zeitordnung entsteht aber erst dadurch, dass, wiederum mithilfe präfixierter Zahlenreihen, den gewonnenen, in einem graphischen Raster festzuhaltenden Tonpunkten Dauerwerte zugeordnet werden. Die genannten Zahlenreihen entnahm Maderna sog. magischen Quadraten, in denen eine gleichbleibende Zahlenauswahl in unterschiedlicher Reihenfolge ablesbar ist. In ähnlicher Weise wurden weitere Parameter der Komposition berechnet.
Die ausgeklügelte Methode zur Generierung des musikalischen Materials verdrängte bei Maderna die gestalterische Initiative des Komponierens allerdings nicht. Wie am Ergebnis ansatzweise zu zeigen war, hat der Komponist an unterschiedlichen Stationen des Entstehungsprozesses vorausbestimmend bzw. korrigierend eingegriffen. Dem Hörer bietet sich die »Serenata« jedenfalls als ein durchaus lebensvolles, nicht mechanistisches Stück Musik dar, das sogar die Tradition eines divertimentohaften Stiles, auf die sein Titel verweist, durchscheinen lässt.