Die Auseinandersetzung mit der Natur, die Untersuchung ihrer Erscheinungsformen, die Frage nach den Weisen ihrer Wahrnehmung und den Möglichkeiten ihrer Darstellung ist eines der ureigenen Themen der Kunst. So liegt es nahe, dass sich im Zeichen der biotechnologischen Revolution die Künstlerinnen und Künstler auch diesem Themenfeld zuwenden. Der Gegenstand dieser Auseinandersetzung hat eine Komplexität erreicht, welche die alte Vorstellung des Künstler-Wissenschaftlers, die wir in Leonardo da Vinci oder in Albrecht Dürer, in Alberti oder Brunelleschi verwirklicht sehen, in einem neuen Licht erscheinen läßt. Heute arbeitet der Künstler als research-artist und widmet sich den Schnittstellen zwischen Leben und Technik: Er erprobt die Möglichkeiten interaktiver, rechnergestützter Systeme und ist als Programmierer oder Biologe tätig. Heute werden in einem anderen Sinne, als im 15. und 16. Jahrhundert, Fragen der Verbindung von Kunst und Technik virulent, die sich als sehr eng verquickt erweisen mit solchen nach dem gesellschaftlichen Stellenwert der Kunst, nach ihrer Funktion und ihren Möglichkeiten im politischen Diskurs.
Die australische Künstlergruppe SymbioticA arbeitet unmittelbar in einem biotechnologischen Labor und entwickelt dort neue Organismen. Sie versucht, aus dem System selbst heraus, eine kritische Haltung zu entwickeln, bewegt sich dabei aber auf einem äußerst schmalen Grad zwischen Affirmation und Kritik. Die kanadische Gruppe Bioteknica entwirft in geradezu mimikryhafter Annäherung an die Darstellungsformen biotechnologischer Konzerne, Programme zur Stammzellforschung und dekonstruiert dadurch die Rhetorik solcher Unternehmungen. Das Künstlerpaar Christa Sommerer und Laurent Mignonneau kreiert computergenerierte Simulationen des Lebendigen, während der Amerikaner Eduardo Kac unmittelbar mit gentechnisch veränderten Organismen arbeitet und Fragen nach deren gesellschaftlichen Akzeptanz untersucht.
Der Status dieser Kunstwerke verändert sich im Grenzfeld zwischen Technik, Kunst, Biologie und Öffentlichkeit grundlegend. Weder die alte Vorstellung vom Künstler, noch die vom Kunstwerk hilft zur Bestimmung dieser neuen Artefakte. Eines ihrer Kennzeichen besteht darin, dass sie sich in auffallendem Maße der Möglichkeiten der neuen Medienkunst bedienen. Das liegt angesichts des pictorial turns der letzten Jahrzehnte und der Visualisierungsnot der Naturwissenschaft durchaus nahe. Aber diese Werke sind nicht allein als avancierte Medientransformationen neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse zu verstehen, wie sie in den Forschungs- und Marketingabteilungen der Bio-Konzerne entwickelt werden, sie bewegen sich zugleich als Kunstwerke jenseits aller Grenzen der klassischen Moderne und der zeitgenössischer Medienkunst, indem sie darüber hinaus im Modus der Life Sciences mit lebenden Organismen selbst arbeiten, oder aber eine solche Arbeit auf den unterschiedlichen Ebenen simulieren.
Bei der Analyse solcher Interaktionen stellt sich die Frage, welchen Mechanismen sie im Detail folgen, in welchen ästhetischen Traditionen sie stehen und wie sie sich zu den Wissenschaften verhalten. Wollen sie, wie dies Eduardo Kac, eine der Leitfiguren der neuen Kunst, vorgibt, die sozialen Konsequenzen der neuen Biotechnologie sichtbar machen? Oder wollen sie in erster Linie, wie Christa Sommerer und Laurent Mignonneau, deren Faszination zeigen? Welcher Stellenwert wird in diesen Adaptionen der Kritik zugeschrieben? Sind die Künstlerinnen und Künstler, bewusst oder unbewusst, Akzeptanzbeschaffer für diejenigen, denen es um einen schnellen und breiten gesellschaftlichen Konsens hinsichtlich Weiterentwicklung und Einsatz der neuen Technologie geht?
Gerade die Grenze zwischen Natur, Kunst und Technik, deren Bestimmung über Jahrhunderte hinweg die Künstler beschäftigt hat, verliert, so scheint es, im Laufe dieses Diskurses ihre Grundlagen. Die Kunst muss sich angesichts dieser Grenzüberschreitungen intensiv mit Fragen nach ihren gesellschaftlichen Konsequenzen auseinandersetzen.