Walter Maaß (geb. 1952 in Hannover, Kunststudium an der Akademie Düsseldorf, Abt. Münster, Philosophiestudium in Münster und Hannover) hat früher semantisch beziehungsreiche Materialbilder gestaltet, die man der Objekt-Kunst zurechnen kann. Auch seine Hinwendung zur Malerei, die sich verstärkt seit etwa 1990 vollzog, ist eine Hinwendung zur Farbe als Material. Das Interesse, ihre ästhetischen Qualitäten zu erkunden, hat ihn konsequenterweise zu abstrakten Formen geführt, nicht freilich zu geometrischer Abstraktion, sondern zu einer solchen, die ihn in die Nähe des um die Mitte des letzten Jahrhunderts aufkommenden »Informel« bringt. Der anfänglichen Mischtechnik auf Karton folgte alsbald der Auftrag von Acrylfarbe auf Glas, weil dieses ein neutraler, sich nicht in die Farbe einmischender, sondern sie ganz sich selbst überlassender Malgrund ist. Aber das Glas wurde nun nicht einfach als ein anderer Farbträger genutzt, auf dem sich dann doch wieder wie auf der Leinwand Schicht für Schicht das Bild auf den Maler und der späteren Betrachter zu entwickelt, Bild sollte das sein, was man durch das Glas zu sehen bekommt. Hinterglasmalerei im traditionellen Sinne war dies trotzdem nicht, denn im Unterschied zu deren transparenten Farben, die – in Grenzen – eine Kontrolle über die Bildentstehung erlauben, sind die von Maaß verwendeten Acrylfarben undurchsichtig. Der Werkprozeß entwickelt sich einerseits über die Komposition von Farben, die in unterschiedlicher Weise (durch Pinsel, Walze, Stöckchen, Finger) und in unterschiedlichen Flächen aufgetragen werden, andererseits über ein Bearbeiten dieser Farbflecken in unterschiedlichen Trocknungszuständen, indem sie geritzt, zerrissen, abgekratzt, dünngehobelt, herausgelöst und anderswohin verpflanzt oder wieder verflüssigt werden. All diese Aktionen zielen darauf ab, durch die Schichten hindurch auf der dem Maler abgewandten Seite gestalterische Wirkung zu erzielen. Deshalb muß von Zeit zu Zeit die auf dem Boden liegende Glasplatte umgedreht werden, um zu sehen, ob das Bild sich der Erwartung gemäß entwickelt hat oder neue Aktionen erforderlich sind. Die Prozedur wird solange fortgesetzt, bis ein Zustand erreicht ist, der genug Stimmigkeit hat, um bleiben zu können. Am Ende wird die Arbeitsseite mit einer hellen Farbschicht versiegelt werden.
Bei dieser Art Bilder ist es nicht geblieben. Vor dem Umdrehen der Glasplatte wurde sie für einen Moment durchleuchtet und zeigte sich dem Künstler aufgrund der unterschiedlichen Farbverdichtungen in einem solchen Ungleichgewicht, daß sie seine Reaktion herausforderte. Wenn nun bei der Gestaltung dieser Seite das bisherige Verfahren nicht verraten werden sollte, gab es nur eine Lösung des Problems: Beide Seiten mußten bemalte und durchsichtige Flächen zugleich sein, so daß nun vier Ansichten miteinander zu vermittlen wären. Das ist durch das Glas aber nicht nur gefordert, sondern zugleich auch möglich; denn die Farbe verhält sich darauf als eine Haut, die, weil sie sich nicht mit dem Träger verbindet, weitere Bearbeitung zuläßt. Das Wegnehmen von Farbe wird jetzt zur primären Technik der Formfindung; von den schon erwähnten Akten dominieren die skulpturalen wie z.B. das Abschaben. Das Wegnehmen erhöht die Transparenz der Schichten und die Spannung zwischen den Farbflecken. Die Doppelansichtigkeit der Bilder fordert, sie in Sockel oder Bodenschlitze einzulassen. Das Format streckt sich auf 200 x 40 cm; die Bilder werden zu Stelen, um die man wie um Skulpturen herumgehen muß, um sie vollständig zu erfassen, und bleiben doch Bilder. In dieser Arbeitsweise hat Walter Maaß auch die bandartig umlaufenden Fenster der Kirche St. Maria in Bad Nenndorf gestaltet. Dank einer besonderen Technik, die im Atelier gemalten Farbhäute zwischen UV-Schutzfolien in Isolierglas einzuschweißen, ist es ihm erstmals gelungen, die im Malprozeß unmittelbar sich einstellenden Ereignisse in Kirchenfenster umzusetzen, ohne den Weg über die Zerlegung der Bilder in Glassegmente zu gehen, die in Manufakturen eingefärbt und durch Bleistege miteinander verbunden werden müssen. Die Farbhäute markieren eine weitere Entdeckung. Zu den Rückgängen der Kunst auf ihre konstitutiven Bedingungen in der Moderne gehört auch die Thematisierung des Verhältnisses von Bild und Bildträger; man denke nur an die geschlitzten Leinwände von Lucio Fontana. Bei Walter Maaß kann sich das Bild vom Träger lösen, weil es sich als Haut durch die Substanz, aus der es gemacht ist, selbst zu tragen vermag. Er zeigt uns das, indem er sie aufspannt, über etwas legt, zu Stapeln aufschichtet oder einrollt.