Im theologischen Dauerstreit um die Frage, durch welche geschichtlichen Erfahrungen der Osterglaube entstanden und durch welche er hinreichend begründet ist, kommt der frühjüdische Kontext weitgehend nur unter der Frage in den Blick, ob der Glaube an die Auferweckung des Gekreuzigten aus frühjüdischen Vorstellungsmodellen und Glaubenserwartungen ableitbar ist oder nicht. Besonders bei der Position, die den Osterglauben auf Erscheinungen des Auferweckten gründen will, ist die Tendenz nicht zu übersehen, erkennbare Unterschiede zwischen frühjüdisch-apokalyptischen Vorstellungsmodellen und dem urchristlichen Osterglauben als Bruch gegenüber jüdischen Erwartungen aufzufassen. Aus einem historischen Befund wird aber so unter der Hand eine theologische Wertung: Ostern wird zum Bruch zwischen Judentum und Christentum. Dies lässt sich anhand der Position von Hans Kessler exemplarisch zeigen.
Befragt man aber einmal neutestamentliche Texte nicht daraufhin, was sie zwischen den Zeilen über ihre Entstehungsbedingungen und -geschichte verraten, welche konkreten jüdischen Traditionen in ihnen aufgenommen und wie diese dabei verändert wurden, sondern hört auf die historische Stellungnahme der neutestamentlichen Zeugnisse selbst und läßt sich auf ihre Perspektive ein, was erfährt man dann über das Verhältnis des Osterglaubens zur Hoffnung Israels? Welche Wertung des Glaubenshorizontes Israels nehmen die neutestamentlichen Zeugnisse angesichts der neuen Ostererfahrung vor?
Am Beispiel von 1Kor 15 lässt sich zeigen: Auf die Frage, woher das Glaubenswissen um die Auferweckung Jesu stamınt, verbindet Paulus und schon vor ihm das in 1Kor 15,3-5 zitierte Traditionsstück zwei Wissensquellen. Das Nebeneinander von »gemäß den Schriften« und von »er erschien« zeigt, daß das unableitbare Offenbarungswissen um Gottes Auferweckungshandein am getöteten Christus, das in den Erscheinungen eröffnet wird, nicht als Durchkreuzung, sondern als Erfüllung der als Verheißung verstandenen Schrift, des Kompendiums des Glaubenswissens Israels aufgefaßt wird. Nicht die Unableitbarkeit als solche qualifiziert das neue Wissen als göttlich; vielmehr kann es Geltung nur beanspruchen, insofern es eine Aktualisierung der »alten« Erwartung ermöglicht. Diese Denkfigur, in der ein neu von Gott eröffnetes Offenbarungswissen zum hermeneutischen Schlüssel für die Relecture der Schrift wird, ist typisch für das frühjüdisch-apokalyptische Denken. Sie ermöglicht, die neuen Glaubenserfahrungen zu verbinden mit der Überzeugung, dass Gott in seinem Handeln in der Vergangenheit und in der Gegenwart derselbe bleibt.