Über Edvard Munch zu reden eröffnet ein weites Feld. Mit einem veritablen Kunstskandal trat er in Deutschland in Erscheinung und wurde sofort zu einem gefragten und gesammelten Künstler. Für die Expressionisten war er eines ihrer Vorbilder, zugleich entzog er sich allen Stilen und Strömungen und bildete selbst keine Schule. Ihn zu den Symbolisten zu zählen ist zwar nicht ganz falsch, trifft die Vielschichtigkeit seines Werkes aber nur zum Teil. Er hat Teil an den verschiedenen Strömungen seiner Zeit, saugt sie auf, tummelt sich in unterschiedlichen Medien und Gattungen, in der Malerei, der Graphik und auch in der Photographie.

Die Kunstszene um und kurz nach 1900 ist von sehr divergierenden Strömungen bestimmt. Da existieren symbolistische neben frühexpressiven Tendenzen und zugleich findet man in Russland und in den Niederlanden die ersten Versuche im Vorfeld einer ungegenständlichen Malerei. In diesem Spannungsfeld bewegt sich Munch, und es ist von besonderem Interesse, zu beobachten, wie er einerseits sich neuen Ideen und neuen Bildformen zuwendet, wie er aber andererseits auch versucht, seine Vorstellungen im Rückgriff auf die Bildtradition zu formulieren.

Wie sieht ein solcher Umgang mit der Kunstgeschichte aus, ein Umgang, der Innovation und Tradition zu verbinden sucht? Kann er im Zeichen der Avantgarde und im Umfeld der Widersprüche der frühen Moderne überhaupt noch gelingen? Oder steckt der Kern seiner Modernität vielleicht gerade ebenso in diesem auf den ersten Blick eklektizistischen Verfahren, wie in seinen immer wieder psychoanalytisch diskutierten Themen? Und wie stellt sich ein künstlerisches Programm dar, das sich diesen kunstinternen Problemen stellt und zugleich intensiv auf den Zeitgeist reagiert?

An Hand einer Reihe von Vergleichen mit Werken von Paul Gauguin, James Ensor, Jacques-Louis David, Lovis Corinth und Ernst-Ludwig Kirchner geht der Vortrag der Frage nach, wie sich diese historischen Aneignungsverfahren zugleich als grundlegende künstlerische Methoden der Moderne und vor allem der Postmoderne beschreiben lassen. In einem an psychoanalytische Verfahren angelehnten Dreischritt von Zitieren, Verschieben und Verdrängen werden die Beispiele diskutiert, um zum Abschluss die Frage zu stellen, inwieweit das vollendete Werk selbst eine gelungene Form des Durcharbeitens dieser Problemfelder darstellt. Eng damit verknüpft sind Fragen der künstlerischen Selbstreflexion, die der Maler in einer Reihe von Selbstporträts untersucht, in denen er jeweils neue, eigenständige künstlerische Lösungen im Rahmen dieser Gattung vorschlägt, und die daher im Mittelpunkt dieses Blicks auf das Werk Edvard Munchs stehen.