Der Körper in der Kunst – das scheint an sich keine Tatsache zu sein, die besonderer Erwähnung bedarf. Bilder des Menschen in Form von Porträts kennt man schon seit der Antike und die Bildnistradition hat sich bekanntermaßen durch die Jahrhunderte fortgesetzt. Was ist daher so erwähnenswert an der Verbindung von Kunst und Körper seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts?
Eine erste These lautet, dass das Körperbild in der Kunst weitgehend das Menschenbild in der jeweils zeitgenössischen Gesellschaft thematisiert. Dieser Aspekt verquickt sich in den 1960er Jahren mit einer kunstimmanenten Entwicklung, die mit der Erweiterung des traditionellen Werkbegriffs sowie einer Infragestellung der alt hergebrachten Rolle des Künstlers zu benennen ist. Die Engführung dieser beiden Entwicklungen führt zu radikalen künstlerischen Positionen, deren Konsequenzen für die Kunst nicht zu überschätzen sind, da ohne die sogenannte Body Art, die Körperkunst der sechziger und siebziger Jahre, beispielsweise die sogenannte Medienkunst kaum denkbar wäre.
Die zu beobachtende Wiederkehr des Körpers als zentraler Thematik in der Kunst der neunziger Jahren ist – so die zweite These – jedoch nicht als ein bloßes Aufwärmen der bereits bekannten Thematik zu verstehen. Vielmehr greift die Revision der Körperkunst zum Ende des 20. Jahrhunderts auf einer Metaebene, da der Körper diskursiviert wird.
In den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde der Körper häufig provokant inszeniert zum künstlerischen Werk erhoben. Was zunächst wie ein radikaler Bruch aussehen mag, ist vor allem über die Malerei des Abstrakten Expressionismus vermittelt worden. Hier ist insbesondere das ‚Action Painting’ Jackson Pollocks von Relevanz, dessen abstrakt-expressive und vor allem körperbetonende Art und Weise, Farbe auf die Leinwand zu bringen, einen Wendepunkt in Umgang und Wahrnehmung des (Künstler-)Körpers darstellt. Pollock stellte nicht nur die traditionellen Definitionsparameter der Malerei in Frage, sondern legte in der Inszenierung seines Körpers im Akt des künstlerischen Prozesses den Grundstein für die Erörterung der zeitlichen und der körperlichen Komponente der Kunstproduktion sowie der Kunstwahrnehmung. Dies wird insbesondere die nachfolgenden Künstler des Happenings und der Performance interessieren: Wird bei Pollock noch die künstlerische Aktion mit dem Ziel einer Bildherstellung ausgeführt, ist bei der Avantgarde um Künstler wie Allan Kaprow, Bruce Nauman oder Chris Burden die Ausführung der Aktion, der künstlerische Prozess selbst von Interesse. Insbesondere der Künstler Allan Kaprow entwickelt das ‚Action Painting’ Pollocks weiter zur sogenannten Aktions-Collage, und schließlich zu Environments, die den ganzen Galerieraum einnahmen (vgl. 18 Happenings in 6 Parts, 1959). Der Künstler wird hier zum Choreographen, der das Publikum in die Kunstaktion einbezieht: nicht nur der Körper des Künstlers wird auf neue Art und Weise eingebunden, sondern auch der Körper des Rezipienten. Die Happenings kennzeichnen sich wesentlich durch die Zusammenführung der Künste, das Erheben von Alltagshandlungen zu Kunsthandlungen, die Verwischung von Grenzen und wieder die Erweiterung des Werkbegriffs. Der Körper agiert hier noch im Sinne des „acting“, des Schauspielens, als Medium im Rahmen eines theatralen Präsentationsmodus.

Auf diesen Entwicklungen, die den Werkbegriff grundlegend in Frage gestellt und damit erweitert haben, bauen nun jene Künstler auf, die in der Kunstgeschichte unter dem Label der ‚Body Art’ firmieren. In Korrelation mit den zeitgenössischen gesellschaftlichen Entwicklungen rückt der Körper nun in den Mittelpunkt der künstlerischen Befragung. Bruce Nauman hingegen thematisiert in unterschiedlichen Medien (Plastiken und Installationen, aber auch in Video-Performances), seinen Körper als künstlerischen Gegenstand und Material, erkundet die skulpturalen Ausdrucksmöglich-keiten seines Körpers, allerdings nicht im Sinne körperlicher Selbsterfahrung (vgl. Slow Angle Walk (Beckett Walk), 1968). Vielmehr fungiert der Körper als ästhetisches Gestaltungsmittel, Nauman erzählt keine Geschichten, sondern erkundet die Präsenz seines Körpers im Raum und auf Video. Dies ändert sich in den siebziger Jahren wesentlich. Nun ist der Körper nicht mehr bloßes Medium, sondern wird zum künstlerischen Material erhoben. Unter anderem bei Chris Burden wird dies ersichtlich, der durch selbst zugefügte Verletzungen Schmerz am eigenen Körper in Kauf nimmt und als effektives Mittel einsetzt. Anders als bei Nauman sind Burdens Arbeiten sozialkritisch angelegt und lassen den Künstlerkörper nicht mehr unversehrt (vgl. Shoot, 1971).

Für zahlreiche Künstler der neunziger Jahre ist nach den Errungenschaften der späten sechziger und siebziger Jahre die Erweiterung des Werkbegriffs oder die künstlerische Erkundung des Körpers als Medium oder Material nicht mehr von Interesse. Statt die kunstinterne Debatte um Form und Status des Werks weiterzuführen, gereichen nun gesellschaftlich relevante Diskurse über den Körper zum Anlass der Auseinandersetzung: Fragen der Schönheit, der Identität, des Geschlechts sowie Krankheit und Tod sind an der Tagesordnung und schlagen sich in der künstlerischen Auseinandersetzung nieder. Der Körper in den Arbeiten vieler Künstler dieser Zeit ist fragmentiert, deformiert, zerstückelt oder sogar ganz verschwunden. Als Beispiel sei Felix Gonzalez-Torres genannt, dessen Werk sich durch die Verwendung alltäglicher Materialien auszeichnet sowie durch den Einsatz von Objekten als Metaphern für den Körper. Seine künstlerische Auseinandersetzung problematisiert die Kategorie des Denkmals, die Möglichkeiten eines Porträts jenseits des naturalistisch Abbildenden sowie die Vergänglichkeit des Menschen. In seinen Werken kann ein gesellschaftskritischer Impetus festgestellt werden, der in der Thematisierung von Privatheit und Öffentlichkeitbesteht (vgl. Untitled (Billboard), 1991). Die künstlerische Auseinandersetzung mit den Themen Homosexualität und HIV, die insbesondere in den achtziger und frühen neunziger Jahren virulent war, macht sie im besten Fall zum Politikum, zu öffentlichem Diskussionsmaterial, das Fragen der Klischees von Männlichkeit, von Homosexualität und menschlicher Vergänglichkeit eröffnet. Auch die Frage nach dem Status des Kunstwerks innerhalb einer solchen Diskussion, sowie die Frage nach der Funktion und Aufgabe eines Denkmals als kommemoratives Element in der Erinnerungskultur, werden aufgeworfen.

Auch Robert Gober greift die Thematik der Vergänglichkeit des Körpers und die Frage nach den Möglichkeiten seiner Repräsentation, u.a. ebenfalls vor dem Hintergrund der AIDS-Krise der achtziger Jahre, im Hinblick auf Geschlecht und Gender auf. Gober arbeitet hauptsächlich skulptural, aber es finden sich auch immer wieder Rauminstallationen in seinem Werk, das sich vor allem durch die Verwendung von Wachs als zentrales Material auszeichnet. Fast ausschließlich männliche Körperteilnachbildungen aus Wachs, immer fragmentiert, dabei oft scharf durchtrennt von einer Wand und mit durchschnittlicher Männerkleidung versehen, stellen die Plastiken die Frage nach der grundsätzlichen Repräsentierbarkeit des Körpers, der Identität und der Wechselbeziehung von Körper und Identität (vgl. Torso, 1991). Der entfremdete Körper und die damit evozierte (eigene) Körpererfahrung und -wahrnehmung, ist eines der zentralen Themen Gobers.

Der Körper im 20. Jahrhundert ist ein verhandelbares Objekt geworden. Im Bewusstsein der Relativität und Vergänglichkeit körperlicher Erscheinung, wird in der künstlerischen Bearbeitung die Negation der Denkmalhaftigkeit des Körpers sowie die Negation eines möglichen Verismus oder Idealismus seiner Darstellung postuliert. Die Avantgarde der sechziger und siebziger Jahre beschäftigte sich dabei vornehmlich mit den Fragen der Darstellbarkeit des Körpers jenseits der klassischen skulpturellen Ausdrucksmöglichkeiten. Die Künstler brachen den Körper, verstanden als Hülle, auf, griffen ihn buchstäblich an, öffneten ihn zumindest oberflächlich. In diesem Rahmen wurden im Sinne einer institutionskritischen Erweiterung des klassischen Werkbegriffs auch das Verhältnis von Kunst, Ausstellungsort, Künstler und Rezipient thematisch. Das bedeutet nicht zuletzt, dass neben dem Körper des Künstlers nun auch jener des Rezipienten in den Fokus künstlerischer Auseinandersetzung geriet, dass das lang etablierte Rollenverständnis in der Produktion und Wahrnehmung von Kunst in Frage gestellt wurde. Der Rezipient ist, seines sicheren Abstands zur Kunst beraubt, in letzter Konsequenz angreifbar geworden. Die Thematik des Körpers in der Kunst scheint letztlich also auch in der Verunsicherung sowohl der Künstler- als auch der Rezipientenrolle auf. Sind in den sechziger und siebziger Jahren vorrangig der Körper als materielle Substanz sowie die Frage der Erfahrung von Körperlichkeit zentrale künstlerische Themen gewesen, sind es in den neunziger Jahren vor allem Fragen der Darstellbarkeit unsichtbarer Bestandteile des menschlichen Wesens, der Identität, sowie die Befragung der Relation von Körper und Wesen. Das Bewusstsein um den bloßen Verweischarakter des Kunstwerks wird deutlich sowie um die potenzielle Undarstellbarkeit des ‚ganzen Menschen’. Damit verbunden ist auch die Einsicht, dass weder in der Darstellung noch in der Wahrnehmung des Körpers Objektivität möglich ist.