„Wert“ ist ein Grundbegriff, der seine Herkunft aus der Ökonomie nicht verbergen kann. Eine Wertphilosophie entstand erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Nietzsche, Lotze u.a.). Werte sollten neben den Kategorien des Seins eine ontologisch getrennte Sphäre bilden, die vor allem moralisches, aber auch politisches Handeln begründet. Tatsächlich ist durch das Geld in der Wirtschaft jeweils eine doppelte Dimension eingeführt: Zu den natürlichen Eigenschaften der Güter tritt (über den Preis) jeweils eine ihnen eigentlich fremde Dimension hinzu: Ihr (ökonomischer) Wert. Diese Dualität findet sich auch in der Wertphilosophie wieder. Nun wurde die ökonomische Wissenschaft (Nationalökonomie) mit dem ausgehenden 18. Jahrhundert ausdrücklich als eine immer weiter naturalistisch verstandene Theorie entwickelt, die sich zunehmend einer mechanischen oder physikalistischen Sprache bediente: „Gleichgewicht“, „Preismechanismus“ usw. sind die häufig gehörten Schlagworte. Tatsächlich hat auch die Nationalökonomie formal sich immer stärker mathematisch-mechanischer Modelle bedient, die heute weitgehend die Lehrbücher beherrschten. Wirft man einen auch nur oberflächlichen Blick auf diese Struktur der Wirtschaftswissenschaften, so scheint „Wirtschaften“ ein natürlicher Prozess zu sein. Tatsächlich mussten aber, um diese Beschreibung vornehmen zu können, auch menschliche, damit moralische und psychologisch zu beschreibende Handlungen und Entscheidungen naturalisiert werden. Eine zentrale Kategorie ist hierbei der „wirtschaftende Mensch“, der homo oeconomicus. Dieses Menschenbild verwandelt Entscheidungsträger in reine Rechenautomaten, die nur Zielgrößen (in Geldform) maximieren. Der homo oeconomicus reagiert nur auf Preissignale, und „die Preise sagen den Menschen, was sie tun sollen“ (Friedrich A. Hayek). Das Sollen wird also durch die Steuerung der Preise, von Geldgrößen ersetzt.

Es scheint also so zu sein, dass die ethische Dimension aus der Wirtschaft weitgehend eliminiert wurde. Doch das ist ein falscher Schein. Wenn man menschliches Handeln durch den Begriff „Anreize“ beschreibt, also menschliche Freiheit und Kreativität ignoriert, so nimmt man eine nahezu totalitäre Haltung ein, die von der völligen Steuerbarkeit der Menschen ausgeht – nicht durch eine totalitären Herrscher, sondern durch Geld, Markt und Preise. Ein Handeln, das in sich ethisch strukturiert ist, aus freien Entscheidungen hervorgeht, ökonomisch und politisch (z.B. durch Steuer-“Anreize“) aber als unfrei zu behandeln, ist ein moralisches Urteil. Indem die Wirtschaftswissenschaften die menschliche Dimension ignorieren bzw. auf den Charakter einer maximierenden Rechenmaschine reduzieren, sind sie gerade durch ihre naturalistische Form eine implizite Ethik. Und da Menschen nun einmal nicht darauf reduzierbar sind, da Kreativität, Ungewissheit, Nichtwissen und vielfältige emotionale Entscheidungen das Handeln bestimmen – da, kurz gesagt, Menschen durchaus moralische Wesen bleiben –, deshalb gelingt es weder, Wirtschaft insgesamt auf der Grundlage mechanischer Modelle zu erklären; scheiternde Prognosen sind alltäglich. Noch wird dadurch die implizit moralische Dimension einer bezüglich ethischer Werte blinden Wissenschaft erkannt. 

Dieses Ethikdefizit wird doppelt fühlbar: Einmal ist der Wettbewerb, der nur auf dem Geldkalkül beruht (weniger höflich: auf Geldgier), selbst eine endlose Quelle, die vorhandenen Moralreserven der Gesellschaft zu unterminieren. Märkte sind, nach einem Wort von Wilhelm Röpke, „Moralzehrer“. Zum anderen aber beruht die Wirtschaft und die Wirtschaftspolitik auf eben solch einer moralischen Ordnung, ohne die langfristig Märkte selbstzerstörerisch werden – durch Spekulation, Manipulation, PR-Lügen usw. Ohne eine moralische Einbettung gibt es auch für Kreativität, damit für einen notwendigen Wandel immer weniger Freiraum. Insofern unterminiert in der Praxis der Wettbewerb im Horizont eines moralfreien Blicks seine eigenen Grundlage. Die ökonomische Theorie liefert in ihren mechanisch-naturalistischen Modellen dafür die Denkform. Die Ethik kommt also bei der Ökonomie nicht nachträglich und von außen dazu. Sie ist ihr inhärent. Um es mit John Maynard Keynes zu sagen: „Economics is a moral, not a natural science.“ Leider wurde dies in den letzten Jahrzehnten vergessen.