Ausgehend von der These, dass sich der Umgang und die Wahrnehmung sowie die   Rezeption von Musik im Laufe des 20. Jahrhunderts möglicherweise verändert haben, wurde vom Vortragenden der Begriff des divertierenden Hörens eingeführt. Ein konzentriertes Hören wird dabei durch ein sogenanntes divertierendes Hören ersetzt oder ergänzt. Oftmals wird diese Hörweise auch als ein oszillierendes Hören zwischen Peripherie und Konzentration bezeichnet.

Als Belege für diese These veränderter Hörgewohnheiten wurden die folgenden Phänomene beschrieben:

  • Die Anordnung einzelner Musikstücke einer CD mit barocker Musik wurde im dargestellten Beispiel so gestaltet, dass der Hörer die CD am Stück durchlaufen lassen kann, ohne die Aufmerksamkeit zu überfordern (Beispiel: Keith Jarrett,Georg Friedrich Händel - Suites for Keyboard in: ECM New Series 1530 445298-2, Begleitheft zur CD; Übersetzung von Thomas Bodmer)
  • Der Umgang mit Musik hat sich durch die ständige und ortsungebundene Verfügbarkeit von Musik sowie deren Vermassung durch Smartphones, Tablets, cloudcomputing, amazon, youtube, Formatradio und Musikplattformen wie Napster usw. verändert.
  • In vielen öffentlichen Räumen werden Menschen mit Musik, genauer mit Ambient-Musik oder anderer funktionalisierter Musik wie Muzak, beschallt. Musik wird hier zunehmend zu einer Gebrauchsmusik.

Diese einleitende These könnte zu einigen kritischen, kulturpessimistischen und sogar antimodernen Auslassungen verleiten. Im Laufe des Vortrags kamen diese Kritikpunkte teilweise auch zum Tragen. Im Vordergrund des Referats stand jedoch das verstehende und offene Nachvollziehen der kompositorischen Anliegen der jeweils vorgestellten Hörbeispiele. Ausgangspunkt dafür war, dass alle besprochenen Musikstücke den Anspruch des Komponierten besitzen, es sich also bei diesen Kompositionen um gestaltete musikalische Prozesse handelt, die eine Umgebung musikalisch ausgestalten (Ambiente) oder aber auch neue musikalische oder akustische Räume einrichten und entwerfen (Interieur).

Für den weiteren Verlauf des Vortrags ergab sich die folgende Gliederung, in deren einzelnen Kapiteln unter anderem auch die folgenden Aspekte und Fragestellungen bearbeitet wurden:

  • Wie hat sich diese divertierende Hörgewohnheit von einer Musique d'ameublement hin zu der sogenannten „Ambient-Music“ geschichtlich im 20. Jahrhundert entwickelt?
  • Musik umgibt uns ständig und überall und scheint unser räumliches Empfinden und die Wahrnehmung der Räume zu beeinflussen.
  • In der Beschäftigung mit der vorgestellten Musik entsteht der Eindruck, dass viele Menschen die im Titel des Vortrags genannte Musik schätzen und mögen.
  • Neben der theoretischen Durchdringung der Thematik war der Zugang zu der genannten Musik der aus der Praxis heraus. An geeigneten Stellen wurden daher vom Vortragenden selbst produzierte Klangorganisationen in einer Verschränkung aus akustischen und digital produzierten Klängen als Verstehenshilfe präsentiert.

Gliederung

1. Einführung
2. Am Anfang war Saties Musique d'ameublement
3. John Cage begeistert sich für Satie und schafft neue musikalische Räume
4. Eine Bewegung zwischen Avantgarde und Populärkultur entsteht:
Ambient-Music,
Frippertronics,
Soundscapes,
Klangorganisationen
und Klangskulpturen


Erik Satie (1866-1925): Musique d'ameublement

Musique d'ameublement (frz., ungefähr: „Möbelmusik, Einrichtungsmusik“) (wikipedia)
Dabei handelt es sich um fünf Musikstücke für Salonorchester in unterschiedlicher Besetzung aus den Jahren 1917, 1920 und 1923. (wikipedia)
Darius Milhaud, der gemeinsam mit Satie diese Musik machte, zu Saties Einrichtungsmusik:
„So wie es im Bereich des Sehens Formen gibt, wie etwa das Muster einer Tapete, die Deckenleiste oder der Rahmen eines Spiegels, die man trotz ihres unzweifelhaften Daseins doch nicht wahrnimmt, so, dachte Satie, wäre es auch amüsant, Musik zu haben, auf die man nicht hinhören müsste, also gleichsam Musik als Ausstattung oder Hintergrundmusik. Sie sollte veränderbar sein, wie die Möblierung der Räume, in denen diese Musik gespielt wird.“ (Darius Milhaud, zitiert nach: Grete Wehmeyer: Erik Satie, roro monographien, hrsg. v. Wolfgang Müller und Uwe Naumann, 2. Auflage 2005, Hamburg 1998, S. 105)

Aufgeführt wurde die Musique d'ameublement Anfang 1920 in der Galerie Barbazange, wo eine Ausstellung präsentiert und ein Theaterabend veranstaltet wurde, der von Saties Freund Pierre Bertin arrangiert wurde. Satie und Milhaud wurden um die Musik gebeten.
Beide komponierten Musik für die Instrumente, die im vorhergehenden Programm bereits beteiligt waren. Die Instrumente wurden im Raum verteilt. Das Publikum wurde informiert, dass es der Musik nicht mehr Bedeutung und Aufmerksamkeit zukommen lassen sollte als den Einrichtungsgegenständen, wie Stühle, Kandelabern und Balkonen. Das Publikum hielt sich jedoch nicht daran und kehrte bei Beginn der Musik zurück auf die Plätze und hörte aufmerksam zu. Die gewünschte Wirkung wurde nicht erreicht, auch nicht als Satie die Hörer aufforderte, sich zu unterhalten, nicht zuzuhören und zu promenieren.
(Wehmeyer, a.a.O., S. 105)
Die Stücke 3-5 wurden 1920 aufgeführt. Zu weiteren Tonaufnahmen und Publikation der Musiknoten kam es erst in der 1970er Jahren.
Es wurden kurze musikalische Gedanken komponiert, die endlos wiederholt werden sollten. Diese Musik ist anwesend, entzieht sich aber der Aufmerksamkeit. Es handelt sich nicht um Hintergrundmusik, die dadurch entsteht, dass man übliche Musik einfach leise ablaufen lässt.

Satie selbst zu seiner Musik: „Man muss versuchen, eine musique d'ameublement zu realisieren, das heißt eine Musik, die Teil der Geräusche der Umgebung ist, die sie einkalkuliert. Ich stelle sie mir melodiös vor, sie soll den Lärm der Messer und Gabeln mildern, ohne ihn zu übertönen, ohne sich aufzudrängen. Sie soll das oft lastende Schweigen zwischen den Gästen möblieren. Sie wird ihnen die üblichen Banalitäten ersparen. Gleichzeitig neutralisiert sie etwas die Straßengeräusche, die ungeniert in das Spiel hereinkommen.“ (Wehmeyer, a.a.O., S. 106)

Für die Musik in der Galerie Barbazange verwertete Satie Melodien aus „Mignon“ von Ambroise Thomas und die „Danse macabre“ von Camille Saint-Saens, den Satie hasste, weil er Saties Aufnahme in das Institut France verhinderte. Die Rache bestand darin, dass alle aufgefordert wurden, nicht zuzuhören.


Hörbeispiel:
Musique d'ameublement No.1:
Tenture de cabinet préfectorial (Vorhang eines Raumes der Stadtverwaltung).

Das Stück besteht aus zwölf Takten, die immer wieder gleich wiederholt werden.

„In einem Schreiben an Jean Cocteau von 1920 erklärte Satie: 'Die musique d'ameublement erzeugt Vibrationen, ohne einen anderen Zweck zu haben: Sie erfüllt dieselbe Rolle wie das Licht, die Wärme und der Komfort in allen Variante.'“ (wikipedia)


John Cage (USA 1912-1992)

1940 begleitete Cage mit seinem Schlagzeugensemble u.a. eine Choreografie für die Tänzerin Syvilla Fort, kurz darauf komponierte er sein erstes Stück „Bacchanale“ für das von ihm erfundene präparierte Klavier. Er bestückte die Hämmer und Saiten mit Radiergummis, Nägeln und anderen Kleinteilen.

Ebenfalls 1940 setzte er in Living Room Music - A Story alltägliche Wohnzimmergegenstände zur Klangerzeugung ein. Dies war eine Art Vorstufe des
Pop-Art-Environments.

Hörbeispiele:

A Room (1943), drei Jahre nach der „Erfindung“ des präparierten Klaviers,
Fassung für Piano und eine zweite Fassung für präpariertes Piano.
Vortragsbezeichnung von Cage: „to be played very, very softly“

Zwischen die Saiten des Klaviers wurden dabei große und kleine Schraubenbolzen, Geldstücke, Gummis/Radiergummis, Wetterleisten einer Tür oder eines Fensters (Klebeband?) geklemmt.

Cage stellte sich mit diesen die weiteren Kompositionen für präpariertes Klavier vorbereitenden Klavierstücken die Frage, wie das Klavier auch im 20. Jahrhundert für uns von Interesse sein könne, nachdem es im 19. Jahrhundert eine so symbolische Bedeutung hatte (nach: Vorwort zur Ausgabe von Piano Works, 1935 -1948, C.F. Peters Corporation)
Das Stück mutet minimalistisch an, setzt es sich aus verschiedenen Patterns zusammen, die einem komplexen rhythmischen Schema unterliegen, das hörend jedoch nicht nachzuvollziehen ist. Die rhythmische Struktur besteht  aus 2 Teilen mit 4,7,2,5,4,7,2,3,5 Takten.

Living Room Music (1940)

Hierbei handelt es sich  um eine vierteilige Komposition mit dem Titel Wohnzimmermusik für percussion and speechensemble. Cage schreibt hier Musik u.a. für Haushaltsgegenstände; er lässt es sogar zu, dass die Aufführenden die Gegenstände selbst auswählen. Die Reihenfolge bzw. die Anordnung der Klangquellen ist jedoch im Kompositionsprozess festgelegt.

Folgende Klangquellen wurden verwendet:

  • ein Holztisch
  • ein Stapel Zeitungen
  • ein hölzener Fensterrahmen
  • ein Stapel Bücher
  • ein Metallaschenbecher
  • ein feuchtes Weinglas
  • Stimme

Das Gedichtzitat stammt von Gertrude Stein 1939, The World is round, „ Once upon a time  the world was round and you could go on it around and around.“

In A Landscape for piano (1948)
(John Cage, Works for piano and prepared piano Vol. 1 (1943-1952), CD, Schott Wergo Music 1986,1988)

Musikalische Beschreibung:

  • Rhythmische Struktur: 15 x 15 (5.7.3.)
  • präludierender Charakter
  • ähnelt einem Rondo
  • Beide Pedale des Klaviers bleiben bis auf den Schlussakkord durchweg gedrückt.
  • Die Harmonik erinnert an die der Romantik bzw. an eine Jazz-Harmonik (z.B. Akkord mit großer Septime (und None) in Takt 1).
  • Ein schwebender Klangraum entsteht.

Diese Komposition besitzt einen fast romantischen Ausdruck und kann entweder mit dem Klavier oder der Harfe gespielt werden. Cage erinnerte in dieser Komposition an Erik Satie, was ungewöhnlich für Cage war, da er in seiner Musik eigentlich nicht auf frühere Komponisten zurückgriff. Erik Satie war für John Cage ein wichtiger Komponist.

Cage und Satie: Pages mystiques III. Vexations von Erik Satie (Ausschnitt)

„Bei einem von (Buckminster Fuller) organisierten Satie-Festival (im Jahre 1948) hielt Cage mit Defense of Satie einen Vortrag über Ludwig van Beethoven und Erik Satie, der durch die kritische Sicht auf den Komponisten Beethoven zu einem Skandal führte.“ (wikipedia)

„1963 initiierte (Cage) in New York die Uraufführung der Komposition 'Vexations' von Erik Satie , einem kurzen Stück mit 840 Wiederholungen und einer Dauer von mehr als 18 Stunden, (...)“  (wikipedia) 
Cage sah in Satie einen ersten Minimalisten, da Satie bereits in den 1890er Jahren ein Kompostionsdenken in einer Baukastentechnik entwickelte, das erst später in der seriellen Musik und der Computermusik, in der Aleatorik und in der Verwendung von Tonbandschleifen in die Musik eingehen sollte (Grete Wehmeyer: Erik Satie, rororo monographien, hrsg. v. Wolfgang Müller und Uwe Naumann, 2. Auflage 2005, Hamburg 1998, S. 125f.).
Satie mangelt es an Feierlichkeit, anders als bei Beethoven (Anm.) er ist nie seriös und macht sich dagegen „über die ganze europäische Tradition der letzten zweihundert Jahre lustig“ (Grete Wehmeyer, a.a.O., S. 16). Wahrscheinlich war es u.a. dieser Charakterzug der Musik von Satie, die Cage so faszinierte.

Cage: „Warum ist es notwendig, den Geräuschen der Messer und Gabeln Beachtung zu schenken? Weil Satie es sagt. Er hat recht. (...) Es geht offenbar darum, die eigenen beabsichtigten Handlungen in Relation zu den nicht beabsichtigten der Umgebung zu bringen. Der gemeinsame Nenner ist null, wo das Herz schlägt (niemand macht sein Blut zirkulieren). (Cage, Empty Mind,S. 158) Anmerkung: Cage kritisiert, dass das Zwölftonsystem keine Null enthält.
Cage: „Eine Zeit, die nichts als Zeit ist, läßt Klänge nichts als Klänge sein.“ (Cage, Empty Mind,S. 160)

aus: John Cage: Empty Mind, eine Auswahl poetischer Schlüsseltexte, hrsg. Von Marie Luise Knott und Walter Zimmermann, deutsche Erstausgabe, Suhrkamp, Berlin 2012

Entwicklung bei Cage seit den 1950er Jahren:

Er entwickelte Räume des Nichts, 4'33'' (angeregt u.a.durch Rauschenbergs „White paintings“). Es gibt keine Stille. Stille und Lärm haben eines gemeinsam, nämlich die Intentionslosigkeit, Selbstversuch Cages: Er verbrachte eine Zeit in einem absolut schalltoten Raum, auch dort hörte er etwas, das eigene Herz usw.

Zwischenergebnis:

Eine Musik, die unsere Raumerfahrung akustisch möblieren oder akustische Räume erschaffen will, bedient sich der folgenden kompositorischen Mittel und lässt sich wie folgt beschreiben:

  • Wiederholung von Gleichem oder Ähnlichem (Satie und Cage)
  • Verschleierung des dahinter liegenden Kompositionsprinzips (Cage)
  • Zeitliche Dehnung bis hin zur Ausuferung. Das Musikstück kann u.U.als Ganzes nicht mehr erfasst werden. (Cage und Satie)
  • Ein sogenanntes divertierendes Hören, sogar ein Nichtzuhören ist wohl ausdrücklich gefordert und erwünscht bzw. die Folge. (Satie)
  • Der Geräusch- bzw. der Klanganteil in der Musik nimmt zu. (Cage)
  • Daneben ist eine (spät-)romantische Klangsprache erkennbar: Pentatonik, Vorhalte, Akkorde mit großer Septime, schwebende Dissonanzen etc.

Weiterentwicklungen: Eine Bewegung zwischen Avantgarde und Populärkultur entsteht
Soundscapes – Frippertronics  - Ambient – Klangorganisationen – Klangskulpturen

Brian Eno (geb. 1948)

Eno ist ein britischer Musiker, Musikproduzent, Musiktheoretiker und bildender Künstler.
1971 war er Mitbegründer der Gruppe „Roxy Music“. Er bezeichnete sich selbst als „Nichtmusiker“ und spielte in der genannten Band Keyboards und Synthesizer. Seit 1973 arbeitet er in Soloprojekten und Kooperationen mit vielen anderen Musikern und Bands. Er wurde zu  einem begehrten Produzenten (David Bowie, Talking Heads, U2, Coldplay, Paul Simon u.v.a.). Hier zeigte er sich als sehr experimentierfreudig und innovativ.
Seine ersten Ambient-Arbeiten unternahm er zusammen mit dem Gitarristen der Gruppe King Crimson Robert Fripp (geb. 1946), der die so von ihm genannten Frippertronics entwickelte. (wikipedia.de)
Es handelt sich hierbei um eine (Rückkopplungs-) Bandschleife in einer Art Echoeffekt, erzeugt mit zwei Tonbandmaschinen.

Hörbeispiel für die durch Gitarren erzeugten Soundscapes (Klanglandschaften)

1. Watermusic 1, aus der CD 'Exposure'

2. Exposure, aus der CD 'Exposure' (Ausschnitt)
Man hört hier ein Gitarrenvibrato, das in seiner ständigen Wiederholung natürlich an die minimal-music der 60iger-Jahre erinnert. Terry Riley experimentierte bereits 1963 mit solchen Echoeffekten.
(„Time Lag Accumulator - Verzögerungsspeicher)

3. The Heavenly Music Cooperation, aus der CD 'No Pussyfooting' (Eno and Fripp)

Im Begleittext zur gleichnamigen CD schreibt Brian Eno sinngemäß:

Am 18. Dezember 1973 kam es bei der BBC zur wohl einzigen kompletten öffentlichen Sendung der „The Heavenly Music Cooperation“. Als Brian Eno die Sendung am heimischen Radiogerät verfolgte, merkte er, dass das Stück rückwärts abgespielt und gesendet wurde. Das lag wohl daran, dass die Tonbänder nicht zurückgespult und folglich falsch ins Archiv eingestellt wurden. (tail out,statt front out). Als Eno dann bei der BBC anrief und erklärte, dass seine Musik gerade rückwärts gesendet werde, wurde ihm gesagt, dass dies alle sagen würden.
Später haben Fripp und Eno diese Idee aufgegriffen und die Stücke auch rückwärts und in halber Geschwindigkeit auf CD veröffentlicht. (Anmerkung: Halbes Tempo beim Tonbandgerät diente vor der Digitalttechnik vielen Musikern zum Heraushören von Melodien und Soli.)

Hörbeispiele:

a. The Heavenly Music Cooperation 2 (CD 1, Nr. 2)
b. The Heavenly Music Cooperation 2 rückwärts (CD 1, Nr. 9)
c. The Heavenly Music Cooperation 2 halbe Geschwindigkeit (CD 2, Nr. 2)


Welche musikalischen Merkmale einer Ambient-Music lassen sich jetzt aus den Hörbeispielen erkennen?

  • Soundflächen werden gestaltet, die oftmals übergangslos ineinander greifen.
  • Extreme Dynamik- oder Tempounterschiede werden gemieden.
  • In der Binnenstruktur dominieren Akkordflächen, die oftmals als eine Art Vibrato in sich bewegt sind. Alternierend und wiederholend werden die Terz oder die große Sekunde gespielt. Ein Verfahren das u.a. aus dem Feld der mininmal-music stammt.
  • Oftmals lange bis extrem lange zeitliche Ausdehnung der Stücke – überbordend
  • Häufiger Einsatz elektronischer Instrumente sowie elektronischer und später auch digitaler Verfremdungseffekte, z.B. auch sog. destruktive Effekte wie das Rückwärtsspielen der Musik
  • Eine Konzentration des Hörers auf Einzelheiten ist nicht gewünscht.
  • Eine formal-kompositorische Struktur (z.B. Liedstruktur) existiert oft nicht, daher ist sogar eine Rückwärtsspielen der Musik oder eine Halbierung des Tempos möglich, um einen akustischen Effekt zu erreichen oder zu finden.
  • Existiert ein erkennbarer Aufbau ist dieser oft sehr einfach gehalten
  • Ein Rhythmus im eigentlichen Sinne steht im Hintergrund oder fehlt.
  • Melodielinien sind sehr einfach gehalten und bedienen sich oft einer Pentatonik oder basieren auf Dreiklangsbrechungen.
  • Im Unterschied zur Clustertechnik von Ligeti (Atmosphères) gehen die Klangfächen nie ins Extreme und fordern bzw.überfordern den Hörer nicht. Trotzdem zeigen sich natürlich Ähnlichkeiten zwischen den beiden Formen, da bei der Ambient-Musik und bei Ligeti bestimmte musikalische Parameter bewusst ausgeblendet werden.
  • Das divertierende Hören ist Ziel und Ausgangspunkt für die Begegnung mit der Ambient-Music.

Ambient ist eine Variante der elektronischen Musik, bei der sphärische, sanfte, langgezogene  und warme Klänge dominieren.“

  • Rhythmus und Perkussion stehen im Hintergrund.
  • Experimentieren mit räumlichen Effekten, Soundscapes und Feldaufnahmen
  • Einsatz von Keyboards und Blasinstrumenten sowie Naturgeräuschen, Sprache und Gesang
  • Die Stücke sind oft sehr langsam und lang, bauen sich langsam auf und gehen ineinander über  (wikipedia)

Hörbeispiel für Ambient-Music: Steve Hillage: Garden of Paradise

Welche Kriterien könnte man anlegen, um die Qualität unterschiedlicher Ambient-Stücke zu erfassen?

  • Werden interessante Klänge und Sounds gefunden?
  • Wird zitiert (Sample- und Loopverfahren), ist interessant, ob ungewöhnliche oder aber auch vertraute Klänge in einen interessanten neuen Zusammenhang gestellt werden und dadurch Neues entsteht. Oftmals besitzen die Musiker sehr große Platten- und CD-Sammlungen.
  • Fließende Gestaltung der Übergänge
  • Das Finden von Loops und Erkennen von resulting-patterns
  • Verändert oder schärft das Hören der Musik die Wahrnehmung der Umgebung bzw. die der uns umgebenden Räume?

Hörbeispiel: Ambient 1:  Music for Airports – Brian Eno

(ursprünglich 1978 geschrieben, aber erst 10 Jahre später bekannt geworden)

Music for Airports ist eine Gebrauchsmusik, konzipiert als „background sound for airport lobbies“. Nach Eno soll es ein ästhetisches weißes Rauschen sein.

Brian Eno auf dem Plattencover:

„Ambient Music must be able to accomodate many levels of listening attention without enforcing one in particular; it must be as ignorable as it is interesting.“
Ambient-Music muss in der Lage sein, sich an viele Ebenen der hörenden Aufmerksamkeit anzupassen, ohne eine (Hörweise) im Einzelnen hervorzuheben oder zu betonen.Sie muss sowohl ignorierbar als auch interessant sein. (Übersetzung: W. Böhm)

Das Stück wurde u.a. vom Ensemble „Bang on a can“ am Stansted Airport London live aufgeführt. Der Flugbetrieb lief parallel mit allen seinen Sounds: Handy-Klingen, Ansagen und vorbeihuschenden Passagieren.

Mitkomponisten der Originalaufnahme waren Robert Wyatt (früher Soft Machine) und Rhett Davies (Produzent). Eno betont, dass Ambient-Music für ihn nicht Teil einer Clubkultur sei, sondern etwas, das Teil unserer Umgebung geworden ist. Eno wollte, wie Michael Bloom im Rolling Stone vom 26.07.1979 schrieb, „hoffentlich die für gewöhnlich an Flughäfen gespielten, in Sacharin getauchten Streicherklänge ersetzen.“
Die vier Stücke der Music for Airports sind eigentlich so konzipiert, dass sie so lange dauern, wie der Flughafen existiert (ursprünglich in „La Guardia“ eingesetzt).

Musik soll gebraucht werden wie Farbe, die Umgebung soll praktisch eingefärbt werden. Für Föllmer bedeutet dies, dass das Hören zu „einer diffusen und wechselnden Mischung aus peripherem und aufmerksamem Hören“ wird, die beiläufige Aufmerksamkeit.

Brian Eno:„I believe that we are moving towards a position of using music and recorded sound with the variety of options that we presently use color – we might use it to 'tint' the environment, we might use it 'diagrammatically“, we might use it to modify our moods, in almost subliminal ways.“
aus: Golo Föllmer, Klangorganisation im öffentlichen Raum, in: Klangkunst -Tönende Objekte und klingende Räume, hrsg.v. Helga dela Motte-Haber, Laaber 1999, Handbuch der Musik  im 20. Jahrhundert, Band 12; S.191 -227, Zitat: S. 207

Zum Aufbau von Ambient 1:  Music for Airports:

  • grafische Notation
  • 4 Teile, jeweils mit 1/1, 2/1, 1/2, 2/2 betitelt
  • Verbindung der Ideologie der Muzak-Konzerne und Einflüsse aus der
  • amerikanischen Minimal Music (Föllmer, S.207)
  • „Schichten sich gegeneinander verschiebender simpler Tonfolgen bilden hier einen Klangteppich, der verschiedene Aufmerksamkeitsformen erlaubt.“ (Föllmer, S.207)
  • Ambient-Musiker sagen, „dass weder konzentriertes Zuhören noch Tanzen der angemessene Umgang mit ihrer Musik sei, sondern vielmehr eine diffuse und wechselnde Mischung aus peripherem und aufmerksamem Hören.“ (Föllmer, S.207)
  • ein ästhetisches weißes Rauschen
  • Titel-Nr. 1/1: eine kindliche Klavierphrase, die von Robert Wyatt stammt. Hinzu treten einige von Eno gespielte Akzente vom Bass und von den Glocken. Davon wird ein tape-loop gemacht. Anschließend werden unterschiedliche Facetten mit dem Synthesizer verstärkt. Das Ganze kann man weniger gut hören, dafür vielleicht mithilfe der grafischen Partitur nachvollziehen.
  • Die anderen Stücke sind einfacher konstruiert: Einige sich wiederholende Töne oder Tonfolgen (patterns) unterschiedlicher Länge, die langsam ein- und ausgeblendet werden. Theoretisch enden diese Stücke nie. Der Loop kann ständig wiederholt werden mit unendlichen Variationen. (Michael Bloom, Rolling Stone 26.07.1979)

Welche Bedeutung hat diese Ambient-Music?

Zunächst hört man die vorgestellten Musiktitel doch sehr skeptisch, erinnern sie einen an eine Masche, wirken einfach konstruiert und zu stark auf Wirkung aus, ohne dabei wohl kompositorische Substanz zu besitzen. Vieles scheint beliebig. Die zeitliche Ausdehnung kann variieren. Dies alles ist das Gegenteil von Komposition wie wir sie kennen. Daneben stellt man aber fest, dass der Einfluss gerade Enos auf die populäre Musik wirklich sehr groß ist.

  • Eno ist einer der gefragtesten Produzenten ganz unterschiedlicher Künstler.
  • Die Experimentierfreude führte dazu, dass die gefundenen Klangflächen und Sounds (z.B. delay-Technik) heute in digitalen Effektgeräten nachgeahmt und häufig zum Einsatz kommen.
  • Musik wird heute, auch im klassischen Bereich, nach einem Baukastenprinzip eingespielt.
  • Der Einfluss auf die Popkultur ist unüberhörbar, ebenso der auf die  DJ-, Hip-Hop- und Techno-Kultur.
  • Die Ambient-Music hält uns einen Spiegel vor, wie wir heute Musik konsumieren und hören. Eno hat ja gerade den Versuch gestartet, auch wenn er seine Musik als Gebrauchsmusik bezeichnet, die Musiksauce im öffentlichen Raum zu ersetzen und zu gestalten.
  • Viele Menschen gestalten sich ihre Umwelt und die Räume, in denen sie sich bewegen und leben, durch eigene akustische Folien über ihr Smartphone.

Klangorganisationen – Wolfgang Böhm

Die vorgestellten Klangorganisationen basieren auf einer Neuorganisation bereits bestehenden akustischen und musikalischen Materials anderer Künstler und Komponisten sowie aus weiteren Klangquellen. Die Musik hat also den Charakter einer Collage und spielt mit Zitaten, wobei jede einzelne Aufnahme sich der Gefühlswelt der zitierten Musik bzw. Komposition bedient. Ausgangspunkt für die Klangcollage ist immer der jeweilige Klang und seltener der entsprechend vermittelte Inhalt eines (Lied-)Textes. Neuere Klangorganisationen greifen nahezu nicht mehr auf fremdes Material zurück, sondern die entsprechenden Ausschnitte werden mit Instrumenten und einem Synthesizer eingespielt. Zusätzlich werden digitale Tonaufnahmen von Gesprächen oder Umweltgeräuschen verarbeitet.

Die folgenden Verfahren kommen dabei zum Einsatz:

  • Samples erstellen: An sich versteht man unter Sampling das digitale Aufnehmen eines Musikausschnitts (to sample: eine Probe von etwas nehmen). In der Regel werden aus den ursprünglichen Bändern einer Aufnahme Teile isoliert. Als Laie stehen einem die ursprünglichen Aufnahmebänder in der Regel leider nicht zur Verfügung. Deshalb werden die Ausschnitte aus bestehenden Aufnahmen herausgeschnitten. Wichtig dabei ist, Aufnahmen zu finden, die von den Tonarten her miteinander harmonieren.
  • Sample-Loop: Hierbei gilt es, aus einer bestehenden Musik Teile zu isolieren, die sich ähnlich einer Bandschleife endlos wiederholen lassen, ohne dass beim Zurückspringen der Aufnahme ein Bruch zu hören ist. Die Loops werden dann in Bewegung gesetzt, wobei die Tempi geringfügig von einander abweichen. Es ergeben sich dann sogenannte neue patterns oder resulting patterns. Außerdem hört man all die Dinge, die man sonst nicht hört. Das Finden der Loops ist eine durchaus diffizile Aufgabe, da sich nicht alles, was einem gefällt, loopen lässt.


Hörbeispiel: Kein Problem (W. Böhm)

  • Pad-Sounds: Klangflächen kommen zum Einsatz, z.B. Streicherteppiche oder Synthesizer-Sounds, die in der Regel langsam anklingen (attack), einen Nachhall haben (sustain) und langsam ausklingen (decay). Auch Echowirkungen und Verzögerungen können zum Einsatz kommen (delay).

Hörbeispiel u.a. für pad-sounds:
I feel my feet touching the insides of my shoes (W. Böhm)
(wurde nicht gespielt)

Hörbeispiel für noch unbespielte Räume: Musik für Eisschränke (W. Böhm)

Die Klangskulpturen von Phill Niblock (als Ergänzung, wurde nicht vorgetragen)

  • 1933 in  Anderson, Indiana, USA geboren
  • Komponist, Film- und Videoschaffender, Fotograf, v.a auch von Jazzmusikern
  • Direktor einer Stiftung für Avantgarde-Musik (Experimental Media) in New York und Ghent/Belgien
  • In der ersten Hälfte seines Lebens studierte er Wirtschaftswissenschaften.
  • Wichtiges Projekt „The Movement of People Working“: Filmaufnahmen in vielen Ländern der Erde mit Menschen, die tägliche Arbeiten verrichten, v.a. im ländlichen Raum und am Wasser. Der Film hat keine Handlung.
  • 1968 erste Kompositionen
  • Er hat keine formale musikalische Ausbildung.
  • Er arbeitet eher intuitiv, statt systematisch.
  • Morton Feldmans Durations pieces aus den 60er-Jahren waren wohl ein Einfluss für ihn.
  • Er sammelt (lange) Töne von Instrumenten, nimmt diese auf Band auf, schneidet sie (Anblasen, Abklingen wird herausgeschnitten) und legt sie zum Teil 16mal übereinander (over-dub-Technik).
  • Seit den 90er-Jahren arbeitet er auch mit Computertechnologien. Die Zahl der Tracks nimmt zu, bis zu 40 Spuren werden übereinandergelegt.
  • Oftmals microtonale Strukturen (Vierteltöne usw.)
  • Aufführungen werden oft durch Filmaufnahmen begleitet und dauern extrem lang, durchaus mehrere Stunden

(Informationen u.a. aus der englischen wikipedia und der Homepage von Phill Niblock)

HB:  Tochstrings, daraus: Stosspeng (Ausschnitt)


Begleitend zum Vortrag wurde die Klangskulptur
'Erdloch' von Tina und Wolfgang Böhm
gezeigt (Erde, Ton, Stein und Klangorganisation).