Den Vortragstitel „Schule der Gerechtigkeit“ verstand Klaus Blesenkemper im Sinne eines zweifach zu deutenden Genitivs. Am Anfang stand eine kurze Schulung in Fragen der Gerechtigkeit (genitivus objectivus). Die Vielfalt gegenwärtiger Gerechtigkeitsdiskurse betreffen etwa den bundesrepublikanischen Reichtums- und Armutsbericht, die Kalte Progression, die Rente mit 63, die Verurteilung von Uli Höneß, mögliche Preisabsprachen der Ölkonzerne, die Allee der Gerechten in Yad Vashem und hört bei Menschenrechtsverletzungen in aktuellen Bürgerkriegen und Flüchlingsströmen noch nicht auf. Für eine solche Vielfalt hatte bereits Aristoteles den Gerechtigkeitsbegriff ausdifferenziert in eine Platon beerbende allgemeine Gerechtigkeit als personale Tugend und die besondere Gerechtigkeit diverser Formen öffentlicher Gerechtigkeit, bei der vor allem zwischen distributiver und kommutativer Gerechtigkeit zu unterscheiden ist. Die Garantie von Menschenrechten über positivierte Grundrechte freilich wird erst als öffentliche Aufgabe seit der frühen Neuzeit gesehen, in der mit Freiheit und Autonomie die Menschenwürde des einzelnen als unveräußerlicher Wert anerkannt ist.
Mit dem Hinweis darauf, dass diese Anerkennung kein einmaliges abgeschlossenes Ereignis ist, sondern auch heute andauernder Konkretisierungen bedarf, leitete Blesenkemper zum zweiten Teil seines Vortrags über, bei dem es um schulorganisatorische und fachdidaktische Fragen einer den Prinzipien der Gerechtigkeit entsprechenden Schule ging (genitivus subjectivus).
Die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) verstand der Vortragende als eine solche neuere Menschenrechtskonkretisierung. Für den schulischen Bereich sei dabei der 1. Absatz des Artikels 24 maßgebend: „States Parties recognize the right of persons with disabilities to education. With a view to realizing this right without discrimination and on the basis of equal opportunity, States Parties shall ensure an inclusive education system at all levels […]”. U. a. anhand des Falles Henri, dem als Kind mit Down-Syndrom der Verbleib in seiner Gruppe von Klassenkameraden beim Wechsel zum Gymnasium von Amts wegen verwehrt wurde, zeigte Blesenkemper die Kluft zwischen dem in der BRD gesetzlich verbrieften Rechtsanspruch auf Inklusion und schulischer Wirklichkeit. Es wurde deutlich, wie sehr das Recht auf „an inclusive education system at all levels“ auch noch der philosophischen Absicherungen bedarf. Die allenthalben befürwortend rezepierte Gerechtigkeitskonzeption von John Rawls reicht da nicht, sie muss im Sinne etwa des capability approach von Martha Nussbaum ergänzt werden.
Wenn solche Gerechtigkeitskonzeptionen – altersangemessen transformiert – im philosophischen Unterricht diskutiert und an Alltagsbeispielen konkretisiert werden, dann kann, so eine zentrale These von Blesenkemper, ein philosophischer Unterricht geradezu zum Motor werden in einer Schule, die erste Schritte zur Inklusion beherzt wagt.